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Alles auf Anfang Marie - Roman

Alles auf Anfang Marie - Roman

Titel: Alles auf Anfang Marie - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Schroeder
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war schon alt. Ich hatte mir darunter eher einen etwas verschrammten Hundertneunziger vorgestellt, von der Sorte, die zwar nicht mehr so bestechend aussahen, aber nicht kaputt gingen. Mit dieser Schönheit hatte ich jedenfalls nicht gerechnet.
    Höflich öffnete er mir die Beifahrertür, und ich rutschte auf die durchgehende Sitzbank. Ganz aus Gewohnheit griff ich nach dem Sicherheitsgurt, aber es gab keinen.
    »Man muss sich etwas umgewöhnen«, grinste Hannes und setzte sich hinter das Steuer. »Da kann man mal sehen, wie sich die Technik in den letzten Jahrzehnten verändert hat.« Staunend verfolgte ich, wie er die Lenkradschaltung betätigte. So was kannte ich gar nicht mehr.
    Hannes fuhr auf kürzestem Weg aus dem Ort und an die etwa zehn Minuten entfernte Talsperre, während ich ihn vermutlich etwas zusammenhanglos mit den Geschehnissen in der oberen Etage und meinen Gedanken dazu vollschwallte. Er blieb ganz ruhig dabei, bis wir kurz vor der Sperrmauer waren. »Ich weiß nicht, ob die Gaststätte offen hat«, sagte er. »Möchten Sie was trinken?«
    »Muss nicht sein. Eigentlich will ich keinen sehen.« Obwohl ich mich inzwischen schon wieder ein wenig beruhigt hatte.
    »Dann gehen wir ein Stück.« Er lenkte den Wagen auf den Wanderparkplatz, der um diese Zeit ziemlich leer war. Bevor ich die Technik des altmodischen Türgriffs verstanden hatte, stand er schon neben dem Wagen und hielt mir die Tür auf, ganz Kavalier der alten Schule.
    »Sehr schön«, sagte ich mit Blick auf das makellose Auto. »Hatten Sie das schon zu Beatrix’ Zeiten?«
    Er lachte. »Wohl kaum«, sagte er. »Vielleicht hätte sie sich dann anders entschieden, wer weiß.« Er schloss die Türen sorgfältig ab, an Zentralverriegelung hatte damals noch keiner gedacht. »Nein, das Ding hier habe ich vor ein paar Jahren zufällig bei einem Verwandten entdeckt und dann selbst restauriert. Ist eine gute Beschäftigung, wenn man am Wochenende viel Zeit hat.«
    »Das klingt so nach einsamer Wolf«, sagte ich. Ich wusste nach wie vor nicht, ob es eine Frau, vielleicht eine Familie in seinem Leben gab.
    »Och nö, eher nicht«, sagte er. »Man lernt eigentlich eine Menge Leute kennen dabei. Und inzwischen bin ich auch so einem Oldtimer-Club beigetreten, die veranstalten regelmäßige Treffen. Da kommt man ganz schön rum.«
    Wir gingen über die Sperrmauer auf die andere Seite, wo der Spazierweg begann. Am Wochenende war man hier manchmal seines Lebens nicht sicher, weil nicht nur Fußgänger, sondern auch Radfahrer und Inlineskater unterwegs waren, aber jetzt war alles ruhig.
    »So«, sagte Hannes. »Wieder besser?«
    »Glaube schon«, sagte ich. »Mann, was war ich wütend.« Und während ich feststellte, dass ich wieder einen einigermaßen klaren Kopf hatte, kamen auch andere Gedanken. »Meine Güte, ich bin einfach abgehauen und habe Nicole mit diesem Kerl allein gelassen!«
    »Ich vermute, das war auch besser so«, meinte er. »Es sei denn, Sie stehen aufs Zuschauen.«
    Ich runzelte die Stirn. »Sie glauben, der hat   … der wollte   … aber Nicole ist   …«
    Jetzt lachte er laut auf. »In welchem Jahrhundert leben Sie denn, Marie? Wenn der Typ wirklich gerade aus demKnast kommt, dann ist doch wohl eindeutig, was der will. Und Nicole ist auch keine Anfängerin.« Er schmunzelte vor sich hin. »Endlich kann sie was tun, ohne dabei aufzustehen.«
    »Ob der sich denn wieder bei ihr einnisten will?«, überlegte ich. »Bisher hatte ich eher den Eindruck, sie hätte nicht mehr so eine gute Meinung von ihm.«
    Hannes zuckte mit den Schultern. »Sie kennen sie doch. Die wird das tun, was sich für sie am praktischsten anbietet. Wenn der Kerl bleibt und sich ein bisschen kümmert, dann wird sie nichts dagegen unternehmen.«
    »Aber die Kinder!«, rief ich aus. »Was wird aus denen?«
    »Die lernen ein paar neue Kraftausdrücke«, sagte er nüchtern, »und üben sich darin, wie man jemandem aus dem Weg geht, wenn er aggressiv wird.«
    Die Vorstellung behagte mir nicht. Ich hatte den Mann als brutal und proletenhaft kennengelernt, und das war nicht unbedingt das, was man Kindern als Rollenvorbild wünscht. Ich hatte schon nach zwei Minuten Angst vor ihm gehabt   – wie würde es ihnen gehen, wenn er dort dauerhaft wohnte? Er würde bestimmt nicht plötzlich den verständnisvollen Papi geben, der geduldig Lego baut und Geschichten vorliest.
    Andererseits   – so phlegmatisch Nicole war, ihre Kinder waren ihr wichtig. Ich konnte nur hoffen,

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