Alles auf Anfang Marie - Roman
jedenfalls genug, um Taxi fahren und Museen besichtigen zu können.
Ich suchte einen Drogeriemarkt und kaufte einen Steckeradapter und Reisepackungen Shampoo und Gesichtscreme. Hennings Lieblingsdeo war im Angebot, also nahm ich zwei Stück mit. Als es zu regnen anfing, ging ich ins City-Center und stöberte in der Buchhandlung, aber bei den Romanen fand ich nichts, was mich reizte. In der Ratgeberecke standen die bekannten Bestseller: warum Männer und Frauen verschieden sind, wie man sich durchsetzt, ohne Egoist zu sein, solche Sachen. Viele davon hatte mir Astrid schon geliehen, aber ich hatte es nicht immer fertiggebracht, sie vollständig zu lesen.
Nicht weit entfernt fiel mir ein Regal auf mit Büchern über fernöstliche Weisheit und dergleichen. Yin und Yang, Feng-Shui, Taoismus, eben alles, was exotisch klingt und andersartig und einem vorgaukelt, man könnte darin neue Weisheiten entdecken, die ungelöste Fragen beantworten. ›Sieben Jahre in Tibet‹ gab es da ebenso wie Bücher über chinesische Medizin. Bisher hatte ich so was ziemlich gleichmütig zur Kenntnis genommen. Jetzt fühlte ich mich fast bedroht davon.
Ich machte kehrt und holte mein Auto aus der Tiefgarage. Es schien mir so belanglos, wo ich gerade war und was ich tat.
Auf dem Weg nach Hause fand ich zufällig einen freien Parkplatz direkt vor Martins Apotheke, und ganz spontanging ich hinein und löste das Rezept von Dr. Göbel für die Hormonmedikamente ein. Sie waren ziemlich teuer, und ich war längst noch nicht sicher, ob ich sie tatsächlich nehmen würde. (Wenn ich sie nicht nehmen wollte, konnte ich sie immer noch als Dünger in die Blumenerde stecken, hatte ich neulich gelesen.) Aber ich hatte wenigstens die freie Entscheidung. Sie lag ganz allein bei mir. Wenigstens bei diesem Thema. Es fühlte sich gut an.
18
Am Wochenende nahmen Henning und ich das Gespräch wieder auf, allerdings unter Ausklammerung gewisser Themen. Am Samstagabend hatten wir eine Einladung, und es war sogar ganz lustig. Und am Sonntag waren wir immerhin ungefähr auf dem Stand von zwei Leuten, die zusammen in einem Abteil eine längere Bahnfahrt machen und sich dabei höflich und nett unterhalten. Am Montag früh wollte er wieder nach Hannover fahren, bis er mich am Mittwoch früh abholen würde, um von Frankfurt aus nach Boston zu fliegen. Es war alles durchgeplant und keiner weiterer Diskussionen mehr wert, im Gegensatz zu anderen Dingen.
Ich war mir nicht sicher, was ich lieber hätte – diese freundliche, aber nichtssagende Kommunikation oder ein reinigendes Gewitter mit anschließender Versöhnung. Letzteres war zwar anstrengend, aber auch reizvoll – wir hatten auf diese Weise schon einige Konfliktthemen überwunden. Nur leider war keins davon so ohne Kompromisslösung gewesen wie das aktuelle. Mir fiel jedenfalls kein Mittelweg ein nach dem Motto »Eine Woche Chongqing, eine Woche hier«. Es gab nur ganz oder gar nicht. Beides fand ich schlimm.
Am Sonntagnachmittag wurde unser vorläufiger Burgfrieden dadurch gestört, dass wir plötzlich die Haustür hörten. Da nicht anzunehmen war, dass Frau Koppzu diesem Zeitpunkt entschieden hatte, völlig außer der Reihe vorbeizukommen, waren wir etwas beunruhigt und gingen beide los, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Im Flur stießen wir auf Christoph, der dort gerade zwei Taschen und seinen Laptop abgestellt hatte.
»Nanu?«, fragte ich ihn. »Was machst du denn hier?«
»Ich brauchte mal eine Ortsveränderung, damit ich mich besser konzentrieren kann«, erklärte er uns. »Jana schreibt gerade eine Hausarbeit und braucht viel Platz im Wohnzimmer. Da bin ich für ein paar Tage nach Hause gefahren.«
»Möchtest du was essen?«, fragte ich ihn – typisch Mutter, ich weiß, aber das ist ja nichts grundsätzlich Schlechtes.
»Später vielleicht«, sagte er. »Ich geh dann mal hoch. Kann ich das Telefon mitnehmen, falls Jana mich anrufen will?«
»Warum ruft sie denn nicht dein Handy an?«, fragte Henning sehr pragmatisch. Er mag es nicht, wenn er kein Telefon in der Nähe hat.
»Sie hat eine Festnetz-Flatrate, das ist billiger«, erklärte Christoph uns und stieg eilig mit dem Telefon und seinem Gepäck die Treppe hinauf.
Henning sah ihm kopfschüttelnd nach. »Das geht ja gut los«, meinte er. »Das Semester hat noch nicht mal angefangen.«
Wir hörten das Telefon einige Zeit später klingeln. »Immerhin«, sagte ich. »Sie reden noch miteinander.«
»Hatten wir auch so schnell
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