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Alles auf Anfang Marie - Roman

Alles auf Anfang Marie - Roman

Titel: Alles auf Anfang Marie - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Schroeder
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gewesen, die Nicole immer wieder genötigt hatte, ihre Passivität aufzugeben, die ihr vorgehalten hatte, es sei alles in Ordnung mit der Schwangerschaft und deshalb hätte sie kein Recht, sich aus der Verantwortung zu ziehen.
    Jetzt sah das anders aus. Vielleicht hatte sie ja recht gehabt mit ihrer Sorge vor frühzeitigen Wehen? Hatte ich einen Fehler gemacht, indem ich sie zwang, wieder selbst die Hausarbeit zu übernehmen? Was würde ich tun, wenn sie das Kind verlor?
    »Das warten wir erst mal ab«, sagte Henning. »Sieh mal, da ist schon der Rettungswagen.«
    Der rote Transporter stand mit blinkendem Blaulicht und offener Hecktür vor dem Haus. Henning parkte ein Stückchen weiter weg. Ich sprang aus dem Auto und rannte vor ihm her um das Gebäude, die Treppe hinauf und in die Wohnung, wo sich bereits mehrere Männer mit weißen Polohemden und roten Uniformhosen um Nicole kümmerten. Alle drei Kinder standen mit erschrockenen Gesichtern hinter dem Sofa.
    »Was ist mit ihr?«, rief ich.
    »Sind Sie eine Verwandte?«, fragte einer von den Sanitätern.
    »Nein«, sagte ich wahrheitsgemäß.
    »Sie ist die Patentante«, behauptete Henning hinter mir. Vermutlich hatte er schneller als ich begriffen, dass es hier um die Frage nach der Auskunftsberechtigung ging. Aber noch gab mir keiner Auskunft, vermutlich weil sie sich selbst noch nicht darüber im Klaren waren, was hier genau los war.
    Während die Männer Nicole auf ihre mitgebrachte Trage hievten, konnte ich kurz einen Blick auf sie werfen. Ohnmächtig war sie nicht, machte aber den Eindruck, ein wenig weggetreten zu sein.
    »Is sie jetzt tot?«, fragte ein dünnes Stimmchen.
    Einer der Sanitäter drehte sich zu Kevin um. »Nein, kleiner Mann, mach dir keine Sorgen. Wir kriegen deine Mama wieder hin. Aber erst mal müssen wir sie mitnehmen ins Krankenhaus.«
    Ich begriff, dass es vermutlich im Moment wichtiger war, sich um die Kinder zu kümmern, als zu klären, was genau mit Nicole passiert war. Es war nicht ganz einfach, um das ganze Durcheinander herum auf die andere Seite der Couch zu kommen, aber sobald ich dort angekommen war, drängte Kevin sich dicht an mich. Auch Nuala kam näher, nur Gonzalez war natürlich schon zugroß, um sich durch direkten Körperkontakt Trost zu holen.
    »Du hast direkt die Rettung angerufen, stimmt’s?«, sagte ich zu ihm, während ich versuchte zu verfolgen, was jetzt mit Nicole gemacht wurde. Genau konnte man es nicht erkennen, aber es umfasste auf jeden Fall einige Gerätschaften aus einem großen Koffer.
    Der Sanitäter von eben hob den Kopf. »Das hast du genau richtig gemacht!«
    Ich hatte den Eindruck, dass Gonzalez um zehn Zentimeter wuchs. »Erst wollte ich Sie anrufen«, erklärte er mir. »Aber da war jemand anders dran. Der hat mich immer Speedy genannt.«
    »Das war mein Sohn«, sagte ich. »Tut mir leid, dass er dich nicht ernst genommen hat.«
    »Ach ja«, sagte er großmütig. »Kann ja jedem mal passieren. Vermutlich hat er noch nie so was erlebt.«
    »Hat er nicht«, konnte ich ihm versichern. Im Vergleich zu Gonzalez war Christoph aufgewachsen wie im Märchenland, dachte ich.
    Die Männer erhoben sich jetzt und trugen Nicole zum Auto. Ihr Sprecher, der offensichtlich der Boss war und deshalb nicht tragen musste, wandte sich an mich. »Wir nehmen sie jetzt mal mit. Vermutlich hat sie einen anaphylaktischen Schock. Ist irgendeine Allergie bekannt?«
    »Mir nicht«, musste ich zugeben. Eigentlich wusste ich immer noch wenig über Nicole.
    »Ist auch egal«, sagte er. »Während der Schwangerschaft kann sich das auch neu ergeben. Wo ist denn der Mutterpass?«
    »Der is geklaut«, sagte Gonzalez. Das Lob hatte ihm wohl das Gefühl vermittelt, jetzt für alle Fragen der erste Ansprechpartner zu sein. »Vor zwei Jahren auf dem Schützenfest.«
    Die Augenbrauen des Mediziners hoben sich erstaunt.
    »Es gibt einen neuen«, sagte ich eilig und war sogar relativ rasch in der Lage, ihn zu präsentieren.
    »Ach so«, sagte Gonzalez. »Das is ja auch ein neues Baby.« Vielleicht hatte er den Eindruck, dass jedes Kind seiner Mutter nicht nur einen anderen Vater, sondern auch andere Dokumente erforderte.
    Henning begleitete die Sanitäter, um letzte Sachfragen zu klären. Ich setzte mich ein wenig ratlos auf die Couch, wo noch Nicoles zusammengeknüllte Decke lag. Sofort hatte ich ein Kind auf dem Schoß und ein zweites dicht neben mir. Und da hatte ich am Donnerstag gedacht, ich würde sie nie wiedersehen. Ich zog beide

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