Alles auf Anfang Marie - Roman
dicht an mich, denn das wirkte in beide Richtungen tröstlich.
»Wo ist denn Kevins Vater?«, fragte ich.
»Der Maik? Weiß ich nich«, sagte Gonzalez.
»Wird der denn wieder hierherkommen? Wohnt der jetzt hier?«
»Manchmal«, meinte Kevin. Präzise war das nicht.
Henning kam zurück und setzte sich zu uns. »Erzählt mal, was passiert ist«, forderte er die Kinder auf. So ist er, immer den Fakten auf der Spur.
Für die Kinder war es wohl wichtig, darüber zu sprechen. »Die Mama is von der Couch gefallen.« »Die wollte aufstehen und dann hat sie ›huah‹ gemacht.« »Und dann lag sie da und hat geheult.« »Nein, nicht geheult. Sie hat ›huah‹ gemacht.« »Is doch egal. Ich dachte, sie kotzt. Wie du damals, als du so oft Karussell gefahren bist.« »Aber sie hat nicht gekotzt. Sie hat nur ›huah‹ gemacht.« »Und dann hat Gonzalez dich angerufen. Und die Männer.« »Und wo ist die Mama jetzt?«
»Die Mama ist in Bredenscheid im Krankenhaus«, sagte Henning. »Da wird sie noch mal untersucht. Bald geht es ihr wieder gut.«
»Und dann kommt sie und macht uns was zu essen?«
Henning und ich sahen uns an. So einfach war es wohl nicht. »Vermutlich muss sie über Nacht bleiben«, sagte er, was ich ziemlich optimistisch fand. »Ihr hattet also noch kein Abendessen?«
Kopfschütteln und ein hoffnungsvoller Blick auf mich. »Vielleicht könnten wir eine Pizza machen?«, fragte Kevin.
Das bezweifelte ich. Immerhin war ich seit Donnerstag nicht mehr hier gewesen, und schon zu dem Zeitpunkt hatte es nicht mehr alle dafür notwendigen Zutaten gegeben.
Henning hatte eine bessere Idee. »Wie wär’s, wenn wir zu McDonald’s fahren?«
Mit so einem Vorschlag konnte er natürlich nur Zustimmung ernten. Wir packten also alle drei Nowakowskis ins Auto und fuhren in das Restaurant mit dem goldenen Bogen, wo sie sich unglaubliche Mengen von Fritten und Chicken McNuggets einschaufelten. Während sie zum krönenden Abschluss noch mal zusammen an den Tresen gingen, um sich ein Eis zu holen, sagte Henning zu mir: »Wie geht das denn jetzt weiter? Wir können die Kinder doch nicht allein zu Hause lassen.«
»Vor allem müssen die beiden Großen morgen wieder in die Schule. Und irgendwann müssen wir uns auch nach ihrer Mutter erkundigen.«
»Sieht so aus, als hätten wir die erst mal an den Hacken«, sagte er. »Also nehmen wir sie mit zu uns?«
Wir sahen uns an. Und in diesem Moment war die Eiszeit unterbrochen, die alte Verbundenheit blitzte wieder auf. Gemeinsam würden wir das schon packen.
»Wir nehmen sie mit zu uns«, bestätigte ich. Wie unpraktisch, dass Christoph wieder zu Hause war und einZimmer blockierte. Aber irgendwie würden wir die drei schon unterbringen. Besonders viel Luxus waren sie eh nicht gewohnt.
Henning sah mich nachdenklich an. »Ich muss morgen früh nach Hannover, da hilft alles nichts«, sagte er.
»Kein Thema«, sagte ich.
»Und wir fliegen am Mittwoch nach Boston.« Ich verstand, was das heißen sollte: Wir können das nicht wegen der Kinder absagen.
»Ich rufe morgen erst mal den Mann vom Sozialamt an«, sagte ich. »Der muss dann irgendwas tun. Das Bedauerliche ist die Einschulung am Dienstag.«
»Ich dachte, da wolltest du sowieso hin?«
»Na klar. Aber ohne die Mama ist es doch nicht das Wahre für Kevin. Ich bin doch nur der Oma-Ersatz.«
»Hast du ein Geschenk für ihn?« Es sagte viel über Henning, dass er daran dachte. Bei aller Ablehnung meines Einsatzes hatte er doch die Kinder sofort ins Herz geschlossen.
»Natürlich.« Ich konnte ihm das Dekor des Klassenfreunde-Buchs nicht mehr beschreiben, weil nun die drei Nowakowskis wieder unseren Tisch stürmten. Mitsamt drei schmierigen Softeis-Einheiten, die sie mit einer solchen Begeisterung verspeisten, dass es einem ganz warm ums Herz wurde. Und ganz klebrig um die Finger, sobald man irgendetwas anfasste.
Von nun an war die ruhige Zeit vorbei. Wir fuhren erst noch mal in den Hammerweg, um das Notwendigste einzupacken. Ich hatte den Verdacht, dass Gonzalez und Nuala ihre Tornister seit dem letzten Schultag nicht mehr angefasst hatten. Meine früher übliche Routine, neue Hefte zu besorgen und die Schulbücher in Schutzumschläge zu hüllen, gehörte offensichtlich nicht zu NicolesProgramm. Immerhin gab es Bücher. Das war ja schon mal was.
Der nächste Akt war das Einrichten eines Nachtlagers in unserem Haus. Mithilfe vieler Kissen, Decken und Matratzen gelang es uns schließlich, für alle Kinder eine
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