Alles auf Anfang Marie - Roman
Klasse abgemalt, das neulich neben der Kaffeemaschine lag. Ich tat so, als hätte ich nichts gesehen.
Gonzalez und Nuala hätten auch gern so getan, als hätten sie mich nicht gesehen, aber das gelang ihnen nicht ganz. Immerhin hatten sie mich schon so weit verstanden, dass sie freiwillig riefen: »Wir kommen gleich!«
Das wertete ich als Erfolg. Denn natürlich hatte sich über das Wochenende wieder ein erklecklicher Berg Geschirr angesammelt. Den ließ ich aber links liegen und steuerte erst mal auf Nicole zu. »Ich habe bei Ihrem Frauenarzt angerufen«, erklärte ich ihr. »Und die sagen, Sie sind da schon ganz lange nicht mehr gewesen.«
»Kann sein«, sagte sie und ließ ihren Blick unstet durch die Wohnung schweifen.
»Wer hat denn dann Ihre Schwangerschaft festgestellt?«
»Ich hab einen B-Test gemacht«, sagte sie. »Die waren im Drogeriemarkt runtergesetzt.«
So ging es natürlich auch. »Und wann war das?«
»Vor ein paar Monaten.«
»Und wie kommen Sie darauf, dass Sie fest liegen müssen? Haben Sie darüber mit irgendeinem Arzt gesprochen?«
»Ich kenn das doch!«, entgegnete sie. »Bei Nuala war das ganz genauso. Vielleicht wird es wieder ein Mädchen.«
Ich knirschte mit den Zähnen. Diese Frau machte mich fertig. Wie konnte man so an das Leben herangehen?
»Wenn es ein Mädchen wird«, fuhr sie fort, »dann nenn ich es Inschallah.«
»Inschallah?«
»Ja, das hat ihr Vater immer gesagt. Der ist ja Muslim. Kommt aus Syrien. Und da ist er nun ja wohl auch wieder hin. Das würde uns an ihn erinnern.«
Inschallah Nowakowski. Gute Nacht, Deutschland. »Hören Sie, das ist kein Name«, belehrte ich sie. »So sagen Muslime, wenn sie meinen ›wie Gott will‹.«
»Warum soll denn das kein Name sein? Im Deutschen gibt es doch auch Gottfried. Oder Gottlieb. Obwohl das ein bisschen altmodisch klingt.«
Was sollte ich dazu sagen? »Aber Inschallah Nowakowski …« Wenn das Kind nach seiner Mutter kam, war das vielleicht ein passender Name.
»Finden Sie, das ist zu lang? Man könnt’s ja abkürzen. Obwohl … Gonzalez ist genauso lang, oder? Wissen Sie, ich finde, der Name sollte zum Vater passen. Sein Vaterheißt mit Vornamen Enrique, aber das gefiel mir nicht so gut. Ich hab da lange drüber nachgedacht. Als ich dann in der Zeitung las, dass Uwe Ochsenknechts Sohn Gonzalez heißt, da wusste ich: Das ist es!«
Irgendwie hatte ich nicht die Ruhe, mir anzuhören, wie die diversen Väter ihrer diversen Kinder hießen. Einerseits war es Zeit zum Mittagessenkochen, andererseits musste ich ihren Mutterpass finden. Und sie hatte natürlich keine Ahnung, wo er war.
»Vielleicht war er in der Handtasche, die mir geklaut worden ist«, mutmaßte sie. »Vor zwei Jahren auf dem Schützenfest war das.«
Vor zwei Jahren. Kevin war jetzt sechs. »Waren Sie vor zwei Jahren auch schwanger?«
»Nein, wieso?«
»Warum hatten Sie denn dann Ihren Mutterpass in der Tasche?«
»Keine Ahnung. Nur weil er doch nicht da ist. Könnte ja sein.«
Ich gab auf und konzentrierte mich auf die Zubereitung von Bratkartoffeln mit Rührei und Salat, während sie sich ausnahmsweise nicht dem Fernseher widmete, sondern ihre Klatschzeitschriften studierte. Vielleicht suchte sie nach muslimischen Prominenten, um herauszufinden, wie die ihre Kinder genannt hatten.
Aber als ich die Kartoffeln in der Pfanne hatte, hielt ich es nicht länger aus. »Nicole, könnten Sie nicht doch mal ausnahmsweise aufstehen und Ihren Mutterpass suchen? Ich habe für Mittwoch einen Termin gemacht, da sollten Sie den haben.«
»Aber ich muss …«
»Das sagen Sie. Ich bin mir da nicht so sicher, solange ich das nicht von einem Arzt gehört habe.«
Eine Sekunde oder so starrten wir uns gegenseitig an.Dann atmete sie tief durch und sagte: »Wenn Sie meinen.« Sie warf die Decke von sich und wälzte sich vom Sofa.
Ich musterte sie kritisch. Sie trug eine braune Jogginghose aus Nickistoff und ein gelbes Herren- T-Shirt und sah tatsächlich schon ziemlich schwanger aus. Aber auch ohne Schwangerschaft war sie keine Elfe. Mühsam schleppte sie sich durch die Wohnung, um verschiedene Schränke und Schubladen zu öffnen. Ich hatte keine große Hoffnung, dass sie ihren Mutterpass finden würde, aber ich war auch nicht länger bereit, ihre Spielchen mitzuspielen.
Darüber kamen Gonzalez und Nuala nach Hause. Vielleicht drängte sie der Hunger oder das Versprechen zu spülen, vielleicht hatten sie auch keinen Platz mehr auf dem Container gefunden, wo
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