Alles auf Anfang Marie - Roman
sie weitere anatomische Details anbringen konnten. Auf jeden Fall entschied ich, dass sie das Spülen erst nach dem Mittagessen erledigen sollten, was natürlich zunächst mit Protest aufgenommen wurde. »Aber dann is es viel mehr!«
»Dafür braucht ihr dann später gar nichts zu spülen«, hielt ich dagegen. »Es kommt aufs Gleiche raus. Geht euch erst mal die Hände waschen.«
Erstaunt betrachteten sie ihre Finger, die mit einer farbenfrohen Mischung aus Kreide bedeckt waren. »Wenn’s sein muss …«
Den Spruch kannte ich ja schon von Kevin, der auch gerade kam und den ich gleich mitschickte.
Wie jeden Mittag wünschte ich, die Nowakowskis hätten wie andere Leute einen Esstisch mit normal hohen Stühlen. Ich hatte schon öfter darüber nachgedacht, wo ich so etwas organisieren könnte, aber bisher war mir keine Idee gekommen, und es hätte auch größerer Umräummaßnahmen bedurft, um diese zusätzlichen Möbel unterzubringen.
»Anna hat gesagt, die essen auch immer abends zusammen«, berichtete Kevin aus dem Kindergarten. »Sogar ihr Papa isst mit.«
»Jeden Tag?«, fragte Nuala zurück. »Boah.«
»Das könntet ihr doch jetzt auch immer machen«, schlug ich vor.
»Tun wir doch, wenn du da bist«, sagte Kevin.
»Aber ich werde nicht immer da sein«, erklärte ich. »Und dann kann eure Mama kochen, und ihr esst alle zusammen. Das wär doch gut, oder?« Ich fand mich ungeheuer pädagogisch.
Nicole beäugte mich skeptisch. »Ich weiß nicht, ob ich immer kochen kann.«
»Wieso werden Sie nicht immer da sein?«, fragte Gonzalez. »Ich dachte, Sie kommen jetzt regelmäßig.«
»Für eine Weile, ja«, sagte ich vorsichtig. »Aber ich kann auch nicht immer. Zum Beispiel fahre ich an dem Tag nach Kevins Einschulung für eine Woche mit meinem Mann in die USA.«
Diese Information mussten alle Nowakowskis erst mal sacken lassen. »Eine ganze Woche?«, fragte Nicole schließlich. Es klang wie etwas Unbegreifliches.
Ich nickte. Dass ich unter Umständen demnächst für zwei oder drei Jahre wegfahren würde, war ein Umstand, den ich selber noch zu verdrängen versuchte.
»Mein Papa war auch schon in der USA«, teilte Kevin mir mit. »Für ganz lange. Der hat da gearbeitet.«
»Sieh mal an«, sagte ich. Das klang doch ganz vernünftig. Hatte Nicole einmal jemanden gefunden, der ehrgeizig war? Und warum unterstützte er dann die Familie nicht wenigstens mit regelmäßigen Unterhaltszahlungen?
»Quatsch«, sagte Gonzalez herablassend zu ihm. »Nicht USA. Dein Papa war in der JVA, du Blödi.« Ichnahm mal an, das war das Kürzel für Justizvollzugsanstalt. Das klang natürlich schon wieder anders.
»Ich bin kein Blödi! Du bist selber blöd!«, fuhr Kevin auf. Dann sah er mich an. »Is JVA so ähnlich wie USA?«
»Irgendwie schon.« Ich sah die braunen Augen unter den strubbligen blonden Haaren und fühlte eine Welle von Emotionen für dieses Kind. »Es ist beides ziemlich weit weg.« Keiner widersprach mir.
Triumphierend sah Kevin seinen Bruder an. »Siehste?«
Gonzalez erwiderte seinen Blick mit einer gewissen Herablassung. »Lern du erst mal das Alphabet.«
»Zuerst lern ich lesen und schreiben!«, sagte Kevin beleidigt.
Später schaute ich noch auf einen Kaffee bei Hannes vorbei, denn ich hatte ein Anliegen. »Sie waren doch schon mal in China, oder?«
»Das ist schon eine Weile her«, sagte er und schlürfte mit Genuss seinen Kaffee.
»Können Sie mir trotzdem mehr darüber erzählen, als dass es da Hühnerfüße zu Mittag gibt?«
»Nicht nur zu Mittag«, grinste er. »Das Konzept eines leichten Frühstücks kennen die da wohl nicht. Da gibt es Reis zu jeder Tageszeit.«
»Na toll«, murmelte ich düster.
»Aber in den Hotels ist man inzwischen auf westliche Touristen eingestellt«, versicherte er mir. »Ich vermute, Sie planen eine Reise dahin? Machen Sie sich keine Sorgen, das wird bestimmt alles gut organisiert.«
»So wirklich Urlaub ist das nicht«, sagte ich bedrückt. »Mein Mann wird dorthin versetzt und möchte, dass ich mitkomme.«
Hannes schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob das für Sie das Richtige ist. Was würden Sie denn da tun?«
»Genau das frage ich mich auch. Ich habe mal im Internet geguckt, und in Shanghai gibt es wenigstens noch eine Art deutschen Club, wo sich die Frauen regelmäßig treffen. Aber in Chongqing finde ich da gar nichts.«
»Oje«, sagte er. »Was wollen Sie denn in einem Club für unterbeschäftigte Gattinnen?«
»Meinen Sie, darauf
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