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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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sich je erträumt hat, viel besser, viel frischer, so unendlich wohlig. Und die niedliche Zungenspitze spielt an seiner Unterlippe, an seinem Mundwinkel und erneut drücken sich ihre Lippen an seine - dann ist es vorüber.
    Oh, süße liebliche Gaby!
    Sie dreht sich um, schlüpft durch die Tür und Tom ist alleine mit sich, mit dem Nachhall ihres Kusses und seinem pochenden Herzen.
     
     
     
     

10
     
    Frank sitzt am Küchentisch, starrt vor sich hin und wendet den Brief zwischen den Fingern. Kein Wort kommt über seine Lippen. Lotte hat ihm ein Bier hingestellt, aber dieser Trost währt nicht.
    Knapp 5000 Mark sind von ihrem Ersparten übrig geblieben. Die Police war ein Misserfolg. Ottos Ratschlag hat ihnen alles genommen, was sie in vierzehn Jahren erspart haben, hat die Willes ruiniert.
    Frank hatte jahrelang die Dinge gesehen, die es für ihn gibt und sich gefragt: Warum? Dann hatte er von jenen Dingen geträumt, die es nie gegeben hat und sich gefragt: Warum nicht?
    Und diese letzte Frage hatte ihm die Kraft gegeben - wiewohl er manchmal alles nur als Schatten, als flüchtigen Gedanken ansah, wiewohl er an sich zweifelte und sich einen Träumer schalt – hatte ihm die Kraft gegeben, über eben diesen Schatten zu springen.
    Ich kann mehr!
    Ich bin mehr!
    Ich erwarte mehr!
    Und nun war Otto daher gekommen, hatte diesen Traum gestohlen und eine gewisse Art des Todes mit sich gebracht. Zurück bleibt er, dieser Schatten, dessen, was Frank gemeinsam mit Lotte geträumt hatte, was der Anfang einer neuen Wirklichkeit werden sollte; bleibt ein schaler Geschmack, dem etwas Schimmeliges anhaftet und der die Kehle verschnürt.
    Otto hat Frank aufgeweckt, ein Zustand, der größere Schmerzen bereitet, als er bereit ist, sich in diesen Minuten zuzugestehen, während sich auf seiner Zunge der süße Beigeschmack blutiger Enttäuschung ausbreitet. Er merkt, dass er sich in die Unterlippe gebissen hat.
    Soll Frank sich in Ironie flüchten?
    Er stützt seinen Kopf in die Handflächen und starrt auf den Brief.
    Nein, Ironie ist die letzte Phase der Enttäuschung – danach kommt nur noch Resignation. Und resigniert hat Frank noch nie in seinem Leben.
    Über seinem Zorn, diesem kurzzeitigen Wahnsinn, geht die Sonne unter und am Horizont wird es kühler, so frisch, dass es ihn schaudert, aber auch wach macht, den Kopf klärt.
    Und schon regen sich seine Kräfte zum Widerstand, stemmt er sich gegen das scheinbar Unvermeidliche, so wie er sich im Krieg gegen den Tod gestemmt hat, wie er sich gegen den Berg stemmt, gegen den Vorschlaghammer, gegen ...
    Immerhin könnte es sein ...
    Und die Hoffnung, dieses Begehren, die Erwartung, das Gewünschte zu erlangen, streckt seine Flügel aus und trägt ihn ein Stück weit fort. Auch wenn das Schiff seiner Hoffnung nur an einem einzigen Anker hängt, was gewiss nicht ausreicht und keinem Sturm standhält, wenn der Fallschirm durchlöchert ist und die Möglichkeit einer weichen Landung begrenzt, ist Frank nicht bereit, sich und seine Idee aufzugeben.
    Immerhin könnte es sein, das sich alles nur als Irrtum herausstellt!
    Was hätte Colonel Legrange in diesen Minuten getan? Er hätte gesagt: Was auch immer du jetzt handelst, handele es bedacht und bedenke das Ende. Was du nun am nötigsten brauchst, ist ein Mensch, der dich zwingt, das zu tun, was du kannst, Allemand.
    »Lotte«, sieht Frank auf und findet ihr Gesicht. »Was soll ich tun?«
    Sie steht mit dem Rücken zum Fenster, schweigt und raucht. Selten hat er sie so stumpf erlebt, so ohne Worte, so fern.
    Ihre Wangen wirken hohl, ihre Haut teigig, die Haare ungepflegt und auf der Kittelschürze sind Flecken. Mit diesen vorübergebeugten Schultern und den schmalen Lippen, die grauen Rauch auspusten, wirkt sie im gelben Licht des Sturmes, der vor dem Fenster aufzieht, älter als sie ist, wie eine Überlebende.
    »Ich liebe meinen Bruder«, flüstert sie dann nach einer Weile, als könne sie damit erklären, wo es nichts zu erklären gibt.
    Frank fragt sich, ob dieser kleine Satz noch die Liebe erklärt, der jener Lufthauch ist, der alles Grüne nährt oder nur noch das Pflichtgefühl, das Familienbande kultiviert?
    Die Küchenuhr tickt ohrenbetäubend, der Wasserkessel blubbert. Nebenan übt Thomas auf seiner Gitarre.
    »Wir rufen ein Taxi!« Frank schiebt den Stuhl zurück und erhebt sich wie jemand, der viel zu lange gesessen hat, dessen Rücken verholzt ist, der seinen inneren Schlaf getilgt hat und bereit ist, sich gegen das

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