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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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Seltenheitswert.
    Erst gibt es eine Vorsuppe aus Markknochen, mit vielen Augen drauf, die bläulich irisieren, schön kräftig und gesund und darin Eierstich, ganz liebevoll in gleichgroße Würfel gestochen und alle schmatzen und sinnieren und schlürfen.
    Danach ist der Braten dran.
    Das passt zum Thema Wirtschaftswunder.
    »Alles wird teurer.« sagt Lotte. »Bald haben wir eine Inflation, darauf wette ich. Stellt euch mal vor, in der Rundschau stand, wir haben hunderttausend Arbeitslose. Wo soll das noch hinführen?«
    Frank fährt auf. »Wirtschaftswunder, wenn ich das schon höre! Die Einzigen, die sich wundern, sind wir Kumpels, der Arsch der Welt. Auf unserem Rücken läuft das. Die guten Zeiten sind schon lange vorbei, vor allen Dingen, seitdem alle übers Öl quatschen, das die Kohle ablösen soll.«
    Dann sind die Renten dran.
    »Die Paläste bauen sich die Bonzen«, schimpft Frank. »Wir berappen und die Knappschaft freut sich, wenn einer frühzeitig abnibbelt. Dann sparen sie Geld.«
    Über Vertrauensärzte wird diskutiert und über Betriebsräte, über die Gewerkschaft und die Absatzkrise, über Ludwig Erhard und das Tagesgeschehen. Die üblichen Themen also.
    Die Küche duftet nach Sauerkraut und im Topf schweben federleichte Kartoffelknödel nach schlesischem Hausrezept, die man so schön in Soße tunken kann, ein Leckerbissen, der im Mund zergeht; man redet über Thomas, und wie stolz man auf ihn ist – auch wenn er im Moment in der Schule ganz schön faul ist, aber das wird vorbeigehen! - und darüber, dass man sich darauf freut, wenn der Bube später heimkommt, denn jeder hat ihm was Schönes mitgebracht, Comics mit Superhelden, weil alle wissen, dass er sie mag. Die Geschenke für Ottilie kann Lotte ja aufbewahren. Lotte freut sich, denn sie weiß, dass Frank seinem Sohn diese Comics nicht verbieten wird und sie erinnert sich, dass Thomas seine Schultasche heute nicht vorgeführt hat, na egal! Man muss auch mal fünfe gerade sein lassen.
    Nachdem alles abgeräumt ist, und sich wie ein brüchiger Turm in der Spüle stapelt, kommt der Nachtisch dran. Selbst gemachtes Apfelmus, fein zerkocht mit etwas Zimt drin und viel Zucker, noch nicht ganz durchgekühlt und deshalb umso aromatischer, eine leckere Explosion auf dem Gaumen.
    Besteck klimpert, während die Frauen abspülen, reden, wobei selbst Oma Käthe leidlich entspannt wirkt, denn alle sind müde vom Essen. Da ist keine Kraft für Streit, Diskussion und Missverständnis.
    Gläser werden rumgereicht, ein Magenbitter zum Abschluss, die gute Stube wird aufgeschlossen, wohin sich die Männer verziehen, Frank reicht die Zigarren herum, teure Habanos hecho en cuba , nur für diesen Geburtstag gekauft, was ein ganz schönes Loch in die Haushaltskasse reißt, kippt drei Attaché ein und die Stimmen der Frauen sind weit weg, draußen in der Küche.
    Die gute Stube, das Wohnzimmer, wird von einem Schrank beherrscht, ein bücherbestückter Koloss, der sich über die braune Ledergarnitur, Couch und ein Sessel beugt. Frank kurbelt den Tisch mit gekachelter Marmorplatte etwas höher, damit seine langen Beine darunter Platz haben.
    Piefke knallt sich in den Sessel, so lässig wie Hotte Buchholz in Die glorreichen Sieben oder wie Elvis in Viva Las Vegas . Er atmet die Zigarre unter der Nase ein und blinzelt zu Frank rüber. »Mmmh. Nicht schlecht, altes Haus.« Frank nickt und reicht ihm die Streichhölzer. Rudi pafft und mustert Otto über die Glut hinweg. »Is‘ was, Bruderherz?«
    Ottos Gesicht ist lang wie die Zigarre, die er gedankenverloren anglotzt. Unerwartet hat er Tränen in den Augen. Frank, der immer zwei, drei davon bei sich hat, reicht seinem Schwager ein reines Taschentuch rüber. Otto putzt sich geräuschvoll die Nase, sehr hühnerhaft, den Kopf rauf und runter hackend und die glatten Haare fallen über seine Stirn, seine Brille ist ganz beschlagen. Piefke windet sich im Sessel und beugt sich zum Weinbrand rüber. Blitzschnell zieht Frank die Flasche weg. Piefke blinzelt verdutzt.
    »Ich will nicht drüber sprechen«, murmelt Otto ins Taschentuch.
    »Otto, kann ich etwas für dich tun?« Frank steht auf, verschließt die Flasche und stellt sie ins Regal. Er legt Otto eine Hand auf die Schulter.
    »Sie ist ein Engel.« Otto sieht über die Schulter zu Frank hoch. Seine Augen glitzern feucht, während er, ohne hinzusehen, seine Brillengläser poliert.
    »Wer?«, fragt Frank. »Gina?« Dumme Frage, er weiß genau, wen Otto meint. Ist doch immer

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