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Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Alles auf Anfang: Roman (German Edition)

Titel: Alles auf Anfang: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Ferkau
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sondern größere Ziele zu haben hat.«
    »Muttel, bitte ...«, unterbricht Lotte.
    Oma Käthe ist unbeirrbar. »Sie will sagen, dass Ottilie unter den Umständen hier leidet. Sie will damit sagen, dass Frauen, die sich nicht unentwegt aufdonnern und benehmen, wie eitle Hühner, nichts wert sind. Sie will damit sagen, dass Hausfrauen Scheiße sind.«
    So lange Lotte sich erinnert, gab es einen von Oma Käthe um die Ohren, wenn das böse Sch ... Wort genannt wurde. Darüber, dass sie es jetzt benutzt hat, staunen alle, jedoch nicht über die kleine Rede, denn so etwas ist man von Käthe Jäckel gewohnt. Die Wangen der kleinen harten Frau sind vom Eckes gerötet.
    »Ich guck mal, ob was im Radio läuft«, wirft Rudi ein. Seine Stimme ist hell und unsicher.
    Frank fährt dazwischen und erstickt möglichen Zwist im Keim. »Der Arzt meinte, es könne sein, dass Ottilie ein schlimmes Erlebnis gehabt hat, irgendetwas, das sie auf diese Art verarbeitet. Wir werden uns alle Mühe geben, das zu finden.« Seine Stimme bebt ganz leicht. Er zwingt sich zur Ruhe. »So ist das eben, wenn man etwas Schlimmes erlebt hat. Es verändert einen, nicht wahr?« Er blitzt Oma Käthe an.
    Gina drückt die Zigarette aus, als handele es sich nicht um einen Aschenbecher, sondern um Oma Käthes Gesicht. Sie nagelt Lotte mit einem scharfen Blick fest. »Ein geschlechtsreifes Mädchen teilt sich ein Zimmer mit einem Knaben vor der Pubertät. Das ist doch ...« Ihre Augen blitzen wie Diamanten. Sie lässt ihr Urteil im Raum stehen.
    Frank lehnt sich zurück und hakt die Daumen hinter den Hosengürtel. Er fixiert erst Lotte, sehr intensiv, dann einen nach dem anderen. Bis hierhin und nicht weiter!, heißt das.
    Gina schnauft, hat den Tadel begriffen, schüttet sich das Glas voll und nüselt beleidigt. Otto legt den Arm um sie, tätschelt ihre Schultern und sein glattes Gesicht ist lang und trübe. »Was gibt’s denn heute zu Mittag? Ich hab‘ Kohldampf.«
    Auch in dieser Familie gilt es die faszinierende Handhabung zu beobachten, wonach Angriffe, Ungerechtigkeit, Parteilichkeit und Rechthaberei zu Gekakel und Getöse führen, dem meist eine stickige Ruhe folgt, denn niemand will einen Streit endgültig eskalieren lassen. Jeder ruht sich aus, denkt nach, will hemmen, glätten, Gehörtes überhören und ist nur zu gerne bereit, Gebogenes zu begradigen. Man windet das Thema wie ein feuchtes Handtuch, sucht Auswege wie einer, der sich verlaufen hat, hat den Willen zur Harmonie. Es gibt so vieles, über das man reden kann und wenn es das Wetter ist. Das ist ein ewiger Kreislauf der Anstrengung, in gewisser Weise ein Elixier für Familientratsch, Gemeinsamkeiten und erneut gewünschten Begegnungen, denn der Genuss am Klatsch ist größer als die tägliche Eintönigkeit.
    »Heh, gefällt euch das?« Rudi hat einen Sender gefunden, der moderne Musik bringt.
    Gina verabschiedet sich nach unten auf die Toilette, Otto tritt ans Fenster und gafft raus, räumt dann die Kakteen und die Amaryllis auf einen Beistelltisch, öffnet einen Flügel, damit Luft reinkommt, Oma Käthe sitzt wie angegossen und starrt vor sich hin.
    Frank räuspert sich, dass alle zusammenzucken, hustet und spuckt in sein Taschentuch. Er sieht auf, alle Blicke sind auf ihn gerichtet. »Wie wär’s, wenn wir unserer lieben Lotte mal gratulieren?«
    Man entschuldigt sich - Ja, liebes, liebes Lottchen, herzlichen Glückwunsch zum Dreiunddreißigsten! Hach, es war aber auch alles so nervös, bitte verzeih uns! Aber glaub ja nicht, wir hätten dich vergessen, aber nein doch, sonst wären wir ja nicht hier! -, alle freuen sich über die Zerstreuung, überreichen Geschenke, küssen und drücken den Gegenstand ihres Wohlwollens und da kommen Lotte ein paar Tränen, aber aus anderen Gründen, als alle denken. Mann oh Mann! Sie weint ganz schön viel in letzter Zeit. Das geht ihr gehörig auf die Nerven.
    Frank, der ihr schon heute Morgen gratuliert hat, der ihr eine Platte von Zarah Leander geschenkt hat, wo ihr Lieblingslied drauf ist, nimmt sie ganz doll in den Arm, streichelt ihren Rücken, küsst ihren Nacken und in seinen Augen sieht Lotte den verhaltenen Zorn und die Traurigkeit, die wie eine Dunstglocke über der Küche hängt. »Es tut mir so Leid«, flüstert er. »Der Nächste, der eine blöde Bemerkung macht, fliegt raus.«
    Man begegnet sich beim Essen und Oma Käthe hilft und Gina packt mit an, was sie noch nie gemacht hat. Oma und Gina schweigen sogar und das hat

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