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Alles auf Anfang

Alles auf Anfang

Titel: Alles auf Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benioff David
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weiß, was funktioniert und was nicht. Und ich kann mich nicht auf das verlassen, was die Frau sagt, oder auf das Stöhnen, das Keuchen, das schwere Atmen, auf nichts davon. Den Rücken durchbiegen, die Zehen zusammenkrallen, auf die Lippen beißen - auf nichts davon ist Verlass. Nur auf das Erschauern. Das totale Erschauern kann man nicht vortäuschen. Wenn du siehst, wie ihre Schenkel zu zittern beginnen, und zwar richtig zittern, dann weißt du, dass du die Perle gefunden hast. Austern und Perlen, Mackenzie. Jeder weiß, wo die Auster ist - aber die Perle zu finden, das macht den guten Liebhaber aus.«

    Ich betrachtete den über uns aufragenden Wassertank. Der Typ war ein echter Irrer, aber ich mochte ihn.
    »Ich sag dir mal, was ich als Erstes gelernt habe, seit ich hier lebe«, sagte Butchko. »Puerto-ricanische Frauen sind exzellente Liebhaberinnen.«
    »Alle?«
    »Ja«, sagte er. »Alle miteinander.«

    Ich rauchte Lucky Strikes auf dem Dach und unterhielt mich mit Butchko über Frauen und Löwen, bis er sagte, dass er sich für sein Date vorbereiten müsse. Zwanzig Minuten später fuhr ich mit dem Fifth-Avenue-Bus Richtung Norden. »Klimaanlage ist kaputt«, verkündete mir der Fahrer, bevor ich einstieg. »Der nächste Bus ist direkt hinter mir.« Zu jedem sagte er das Gleiche, und jeder außer mir murrte und wartete auf den nächsten Bus, während ich den Fahrpreis bezahlte und mich in die letzte Reihe setzte. Meine Entscheidung missfiel dem Fahrer. Ich glaube, er wollte mit seinem heißen leeren Bus durch die Stadt rasen, an roten Ampeln auf die Bremse steigen, ohne dass sich Fahrgäste beschwerten. Ich hätte kein Wort gesagt. Er hätte mit hundertvierzig Sachen die Avenue hochdüsen und bei Schlaglöchern das Steuer herumreißen können; es hätte mir nichts ausgemacht. Ich war ganz ruhig.
    Als wir unter der Queensboro Bridge durchfuhren, sah ich den Löwen. Ich schrie, ein wortloser Schrei, und der Fahrer sah mich im Rückspiegel an und trat auf die Bremse, einfach so, als wäre er es gewohnt, dass Fahrgäste schrien, wenn sie aussteigen wollten. Ich schob mich durch die schweren
Doppeltüren hinten im Bus und rannte zurück zur Brücke, unter das düstere Tonnengewölbe.
    Mag sein, dass ich zu viel in ein Zwinkern hineininterpretierte, und ich wäre nicht der Erste gewesen, aber mir schien, dass der Löwe wusste, wer ich bin. Ich war davon überzeugt. Ich war überzeugt, dass der Löwe eine Botschaft für mich hatte, dass der Löwe auf der Suche nach mir eine Gott weiß wie lange Strecke zurückgelegt hatte, zahllosen Jägern ausgewichen war, um seine Nachricht zu überbringen. Nun war er hier, und mein Vater war angeheuert worden, ihn zu töten. Der Löwe würde Afrika nie wiedersehen.
    Er wartete auf dem Gehweg unter der Brücke auf mich. Fliegen krochen in seiner verfilzten Mähne herum. Er beobachtete mich mit seinen gelben Augen. Das Fell hing schlaff an seinen Knochen; die Wunde an seiner Schulter war entzündet, mit weißen Pusteln übersät. Sein Bauch war aufgebläht, vom Hunger angeschwollen. Ich dachte daran, wie weit er von daheim fort war, wie viele Tausend Meilen er gegangen war, weit fort von den Zebras und Weißschwanzgnus, den Giraffen und Antilopen seiner Heimat, seiner Nahrung. Hier gab es nur Menschen zu fressen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Löwe sich dazu herabließ, die Köter des Viertels oder die Scheuklappen tragenden Kutschpferde zu vertilgen.
    Ich fragte mich, wie lange es dauern würde, bis er mich verschlungen hatte, und wie weh es tun würde, die langen weißen Zähne, die massigen Kiefer, wie lange, und ober mich bis auf die nassen Knochen abnagen oder etwas Fleisch übrig lassen würde, damit die Tauben etwas zu picken hatten; würde er meine Knöchel ausspucken und zuschauen, wenn sie
wie Würfel davonrollten, würde er von meinem Gerippe aufblicken, das Maul rot gefärbt, und den Taxis nachschauen, die vorbeirasten wie verirrte Gazellen auf der hektischen Suche nach ihrer Herde?
    »Sprich zu mir«, bettelte ich, begierig auf eine Offenbarung. »Sprich zu mir.«
    Wer jemals neben einem Löwen gestanden hat, der weiß, was Demut ist. Kein lebendes Wesen ist schöner. Ein vier Zentner schwerer Löwe kann ein Vollblutpferd zur Strecke bringen, kann mit seinen Krallen die Stahltüren von Eisenbahnwaggons aufreißen, kann seine Gefährtin achtzigmal am Tag bespringen.
    Der Löwe erhob sich auf alle viere und kam näher, bis seine langen Schnurrhaare fast

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