Alles auf Anfang
Herren Länder fluchten. Sie waren allesamt evakuiert worden. Ich sah meinen Vater, auf halber Höhe der Treppe, auf ein Knie gestützt, in der Hand das Gewehr. Zwei Ranger des Park Service standen neben ihm, die Hochleistungsgewehre mit den Betäubungspfeilen auf den Löwen gerichtet. Scharfschützen der Polizei waren um die Terrasse herum in Stellung gegangen.
Hinten in der Menge wurde gejohlt und gepfiffen und gelacht, aber weiter vorn, in Sichtweite des Löwen, war es so still wie in der Kirche. Mein Vater gab den Befehl, und die Ranger drückten ab. Pfeile fliegen viel langsamer als Kugeln; ich konnte ihren schwarzen Flug von den Gewehrläufen zur Schulter des Löwen verfolgen.
Der Löwe brüllte. Er riss das Maul auf und brüllte. Alle Vögel, die in den Bäumen saßen, stoben von ihren Ästen auf und flogen kreischend himmelwärts, eine panische Flucht von Tauben und Spatzen. Alle, die sich an die Absperrung lehnten, wichen zurück, die ganze Menge machte einen Schritt nach hinten, da der Instinkt jedem befahl: Lauf, lauf, lauf! In der Leere der Savanne ist das Brüllen eines Löwen auf fünf Meilen zu hören. Selbst in Manhattan übertönte sein Protest das ständige Heulen der Alarmanlagen von Autos und der Sirenen von Rettungswagen, die Pfiffe der Verkehrspolizisten und das dumpfe Rumpeln der Subway. Ich könnte mir denken, dass Leute, die in der Sheep Meadow in der Sonne lagen, das Brüllen hörten, und Touristen in Strawberry Fields; dass Radfahrer die Handbremse zogen und sich auf die
Pedale stellten, durch ihre Sonnenbrillen in Richtung des Lärms spähten; dass alte Männer, die ihre ferngesteuerten Miniaturschiffe über das algenüberzogene Wasser des Boat Pond lenkten, nach Westen blickten, ihre Boote führerlos treiben ließen; dass Leute vom Gassiservice bemerkten, wie ihre Hunde erstarrten, die Ohren spitzten, dann wie verrückt bellten, bis alle Hunde im Bezirk heulten; dass jede Hauskatze, die irgendwo auf dem Fensterbrett saß, ungerührt in Richtung des Central Park blickte und sich die Pfoten ableckte.
Der Löwe stand unsicher auf, blinzelte hinauf in die Sonne. Er begann sich vorwärtszubewegen, auf die Treppe zu, strauchelte aber schon nach wenigen Schritten. Jeder in der Menge hielt im gleichen Moment den Atem an. Mein Vater gab abermals einen Befehl, und zwei weitere Pfeile bohrten sich in das Fell des Löwen, setzten ihr Betäubungsmittel frei. Die Ranger nahmen ihre Gewehre unter den Arm und warteten; vier Pfeile genügten, um ein Nashorn einzuschläfern.
Der Löwe griff an. Er erreichte die Stufen so schnell, dass keiner der Scharfschützen Zeit hatte, um zu reagieren; er sprang die breite Steintreppe hinauf, die weißen Zähne gefletscht, während die Ranger an ihren Gewehren herumfummelten und die Polizisten, die in meiner Nähe standen, »Großer Gott« sagten und in die Absperrungen zurückwichen und Mütter in der Menge ihren Kindern die Augen zuhielten.
Mitten im Sprung schien der Löwe gegen eine unsichtbare Wand zu donnern; er drehte sich in der Luft und landete schwer auf der Seite, die Vorderpfoten zwei Stufen höher als die Hinterpfoten. Der Gewehrschuss klang so laut und endgültig,
als würde die Tür einer Gruft zufallen. Mein Vater warf die Patronenhülse aus, und sie glitzerte in der Luft, bevor sie an der Balustrade abprallte und in die Vegetation darunter fiel.
Ich duckte mich unter der Absperrung durch, rannte um die benommenen Polizisten herum und die Treppe hinunter. Mein Vater sah mich kommen und rief laut meinen Namen, aber ich war an ihm vorbei, bevor er mich aufhalten konnte. Ich kniete mich neben den Löwen und nahm seinen pelzigen Schädel in die Hände, die Unterarme in seiner schmutzigen Mähne vergraben. Er wirkte jetzt kleiner, wie geschrumpft. Das Blut, das sich unter ihm ansammelte, begann die Stufen hinunterzutropfen.
»Sag es mir«, bat ich ihn, in seine gelben Augen blickend. Mein Vater kam schon auf mich zu. Ich senkte den Kopf, sodass mein rechtes Ohr am feuchten Maul des Löwen lag. »Sag es mir.«
Eine Reihe heftiger Zuckungen durchlief seinen ausgestreckten Körper. Jeder Atemzug entwich seinen Lungen mit einem beängstigenden Pfeifen. Sein Maul ging langsam auf. Ich schloss die Augen und wartete. Er leckte mein Gesicht mit seiner mächtigen Zunge ab, bis mich mein Vater packte und wegzerrte. Ich sah nicht hin, als der Gnadenschuss fiel.
Stunden später, als ich unter der Dusche stand und das heiße Wasser auf mich herabprasseln ließ,
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