Alles auf Anfang
mich, ob die Bibliothekarin der Mahlus High genauso freundlich wäre, wenn Maureen mich suchen käme. Ich legte die vier Jahrbücher auf eines der Metallgestelle und begann den Band von 1987 durchzublättern. Ich arbeite möglichst immer im Stehen - wenn ich sitze, wird meine Wirbelsäule zu stark belastet. Selbst wenn ich wollte, könnte ich heute nicht mehr nach Kalifornien fahren.
Ich war keineswegs sicher, ob Maureen die Kulpsville High besucht hatte, aber es war meine einzige Chance. Ich
blickte flüchtig auf die Porträtaufnahmen der Abschlussklasse, auf all die eifrigen weißen Gesichter, die zu mir aufsahen, die Jungs mit Jackett und Krawatte, die Mädchen im Kleid und aufwendig frisiert. Keine davon war Maureen, und so nahm ich den nächsten Band und begann mit dem Abschlussjahrgang 1988. Adams, Allison, Appleton, Bardovi, Besser, Bischof - und da war sie. Maureen Black. Sie lächelte mit geschlossenem Mund, um ihre ramponierten Zähne zu verstecken. Ihre Sommersprossen waren auf dem Schwarz-Weiß-Foto nicht zu erkennen, und sie sah eleganter aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Unter ihrem Namen stand eine kurze Zusammenfassung ihrer vierjährigen Highschool-Zeit: Fußball (Kapitän) 1,2,3,4. Geländelauf 1,2,3,4. Französisch - Club 3,4. Literaturzirkel 3,4. Fotoclub 4. Casino-Club (Gründerin und Präsidentin) 1,2,3,4 … Minx und Lan, endlich sind wir weg! Friede mit euch, FXO und SB! JJ, du bist schuld, gib’s zu … MB: »Wenn wir von einem Doppeldecker überfahren werden …« Danke für alles, Coach Smith … Mrs Wilder, Sie hatten recht, die Welt steht uns offen! Au revoir, Pennsylvania …
Ich weiß, dass es albern war, aber ich hoffte, mich auch unter ihren verschlüsselten Abschiedsgrüßen zu entdecken. Ich wollte lesen: LZ, wo bist du, Großer? Rette mich! Aber es gab keinen Hinweis auf mich, ebenso wenig, wie es im Jahrbuch meiner Schule einen Hinweis auf sie gab. Wir waren einen Nachmittag lang zusammen gewesen, das war alles.
Ich legte die Bücher zurück und ging hinaus zu der Bibliothekarin. Sie blickte wieder lächelnd zu mir auf und fasste an ihren chinesischen Pony. »Haben Sie Ihre Freundin gefunden?«
»Ja, danke. Haben Sie zufällig ein Telefonbuch da?«
»Klar.« Sie zog eine ihrer Schreibtischschubladen auf und holte ein dünnes örtliches Telefonbuch heraus. »Wie hieß sie übrigens?«
»Maureen Black.«
Die Bibliothekarin zögerte und reichte mir dann das Telefonbuch, als gäbe sie mir etwas sehr Kostbares und sei sich nicht sicher, ob sie es mir anvertrauen könne. »Maureen Black? Abschluss 1988?«
»Ja. Kennen Sie sie?«
Sie starrte mich einen Moment lang an, bevor sie zu sprechen begann. »Das Mädchen ist schon vor Jahren gestorben.«
Ich schlug die Seiten mit B auf und begann nach Black zu suchen. »Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte ich.
»Ich kannte Maureen Black«, sagte sie leise. »Ich habe mit ihr Fußball gespielt. Sie wurde in Las Vegas von ihrem Freund ermordet.«
Ich blickte mich um und sah, dass uns alle Schüler in der Bibliothek beobachten. Sie umklammerten ihre Stifte und hörten unserem Gespräch zu. Über dem Schreibtisch der Bibliothekarin hing ein Poster von einem muskelbepackten Comic-Superhelden, der eine purpurfarbene Uniform mit leuchtenden Blitzen darauf trug. Er hatte einen Finger an die Lippen gelegt. Psst! lautete der Text unter ihm. Alle im Raum waren still, warteten.
»Das ist nicht wahr.«
»Es tut mir leid«, sagte die Bibliothekarin. »Der Fall erregte hier großes Aufsehen. Sie können alles auf Mikrofiche nachlesen, wenn Sie wollen. Wir haben die Montgomery County Sun der letzten …«
Ich ließ das Telefonbuch auf ihren Schreibtisch fallen, und das Geräusch hallte im ganzen Raum wider. »Sie lügen.«
Die Bibliothekarin stand auf, kam um den Schreibtisch herum, berührte meinen Ellbogen. »Lassen Sie uns draußen weiterreden.«
»Maureen Black ist nicht tot.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ihr Freund hat sie erwürgt und sich dann selbst erschossen. Es stand in allen Zeitungen. Ihre Mutter lebt drüben in North Wales. So etwas würde ich doch nicht erfinden, ehrlich.«
»Nehmen Sie das zurück.«
Die Verfassung der Bibliothekarin veränderte sich. Ihre natürliche Neigung, Mitgefühl zu zeigen, schlug um in etwas, das eher Angst war. Sie trat einen Schritt von mir zurück, und ich wusste, dass sie sich meiner Körpergröße bewusst zu werden begann. Mich packte die Wut, raste durch meine Adern, sammelte sich
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