Alles auf Anfang
Kühlschrank aus dem Weg geschafft?«
Ich hatte die Geschichte fünf Jahre lang erzählt, aber das hatte mich noch nie jemand gefragt.
»Dad«, sagte ich, »der Kühlschrank war riesig.«
Er betrachtete mich in meinem Krankenbett, meinen geschrumpften Körper, den Halofixateur, der in meinen Schädel geschraubt war, und dann sah er zum Fenster hinaus. »Du hättest es gekonnt.«
Das hätte ich. Ich frage mich, wie viele weitere Fahrer ihm auswichen, ohne anzuhalten, sich zu ihrer schnellen Reaktion gratulierten. Ich frage mich, ob an jenem Abend ein junger Mann über die dunkle Landstraße raste, geradewegs zu einer Freundin, die er nie küssen würde, geradewegs auf eine Kollision zu, auf die er nicht gefasst sein würde.
ZERSETZUNG
Winter, und die Bomben fallen. In Sicherheit hier, in Sicherheit zunächst, vier Meter unter dem toten Gras, vier Meter Beton, Blei und Humus zwischen den Explosionen und mir. Meine Lebensmittel- und Wasservorräte sollten für achtzehn Monate reichen, früheren Schätzungen zufolge, doch diese Berechnungen sind inzwischen überholt. Ich bin ständig durstig.
Als die Nachricht von den ersten Feindseligkeiten über mein Radio kam, die Stimme des Sprechers wegen des Ernstes der Lage gesenkt (ich stellte ihn mir allein im Studio vor, eine heldenhafte Gestalt, die tapfer das Mikrofon besetzt), holte ich die letzten Bedarfsartikel aus meinem Haus und begab mich in den Schuppen im Garten, wo sich der Einstieg meines Schutzraumes vor den Augen Fremder verbirgt. Alle Nachbarn wussten, dass mein Versteck existierte; es heimlich zu graben erwies sich als unmöglich. Natürlich spotteten sie über mein nächtliches Treiben, aber gutmütig, traten heraus auf ihre Veranden, um mir bei der Arbeit zuzuschauen. Drei Jahre meiner Freizeit brachten diesen Bunker zustande, und alles allein mein Werk: die elektrischen Leitungen, die Be- und Entlüftung, das geschlossene Trinkwasser-Abwasser-System. Tolle Unterhaltung für die Nachbarn. Ich war der
arme Irre des Viertels, aber harmlos, und sie waren ein wenig stolz auf meinen Wahnsinn. Heb mir einen Platz auf, riefen sie grinsend vom Einstiegsloch herunter, während ich unten schuftete, Beton goss oder Rohre verlegte. In den letzten Monaten, als sich die Unruhen in Übersee zu Gefechten ausweiteten, als sich die offiziellen Verlautbarungen von Warnungen zu Ultimaten und dann zu Proklamierungen ausweiteten, als die Möglichkeit einer friedlichen Lösung zu schwinden begann, gaben die Nachbarn vor, sich keine Sorgen zu machen, lächelten über meine Hysterie, versuchten mir einzureden, dass meine Befürchtungen nur Einbildung seien. Vergiss nicht, den Dosenöffner mitzunehmen, riefen sie und lachten. Ich vergaß ihn nicht. Ich sitze hier, vier Meter unter ihrer Asche, und bete, dass sie starben, ohne leiden zu müssen.
Jeden Morgen wird mir bewusst, wie begrenzt meine Aussichten sind. Mein Bunker ist grauer Beton. Die Wände sind fünf Schritte voneinander entfernt. Zu Beginn des Krieges hielt ich einen rigorosen Trainingsplan ein, eine brutale Reihenfolge von Liegestützen, Sit-ups und tiefen Kniebeugen, der meine Kampffähigkeit erhalten sollte für den Fall, dass ich meinen Schutzraum gegen Eindringlinge verteidigen musste, und, nicht minder wichtig, um den abträglichen körperlichen Auswirkungen einer freiwilligen Gefangenschaft entgegenzuwirken. Doch vor einigen Monaten kam ich zu dem Schluss, dass der erhöhte Kalorienbedarf derart rigoroser Anstrengungen und die daraus resultierende Abnahme meiner Vorräte eine unmittelbarere Gefahr darstellten als Trägheit. Und inzwischen fürchte ich keine Angriffe von Überlebenden mehr.
Die Zeit ist für mich zu einem Spiel geworden. Das Ziel ist die Nacht und der Trost des Schlafes; die Hindernisse sind die Stunden. Jeder Tag ist in dicht gedrängte Abschnitte unterteilt - ein Abweichen von der Routine führt zu obligatorischer Bestrafung: ein Löffel voll Proteinzufuhr weniger, beispielsweise, oder, falls der Verstoß besonders ungeheuerlich war, Konfiszierung meiner wöchentlichen Tafel Schokolade.
Der frühe Vormittag ist einer extensiven Überprüfun1g meiner technischen Anlagen gewidmet. Die Luftfilter, Wassertank, Generator und das geschlossene Trinkwasser-Abwasser-System müssen ständig kontrolliert, gereinigt und, sofern die Situation es erfordert, repariert werden. Notgedrungen bin ich ein sachkundiger Handwerker geworden, Meister über alle meine Maschinen.
Elektrizität ist ein Luxus.
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