Alles auf Anfang
Aussicht auf die Skyline von Manhattan in mein Apartment verliebtest. »Das ist so was von fantastisch! Ich kann es kaum erwarten, bis es regnet. Ich möchte das Empire State Building bei Regen sehen. Oder bei Schnee! Ich kann es kaum erwarten, bis es schneit.«
Wir brachten einen Koffer voll Kleidung von dir in mein Apartement und eine volle Einkaufstasche mit dem Nötigsten. Lieblingsalben, unentbehrliche Gewürze, Toilettenartikel, Kühlschrankmagnete, ein Handspiegel aus Elfenbein, der deiner Großmutter gehört hatte, eine einarmige G.-I.-Joe-Puppe, die der fünfjährige Leonard unter dem Weihnachtsbaum vorgefunden hatte.
»Ich werde alle paar Tage in meine Wohnung gehen«, erklärtest du mir. »Und nach den Katzen sehen. Hoffentlich kommen sie ohne mich aus.«
Ich nickte. »Das hoffe ich auch.«
Eines Nachts wachte ich durstig auf und griff auf dem Nachttisch nach einem Glas Wasser. Du warst wach, den Rücken an das Kopfbrett gelehnt, starrtest durch das Fenster hinaus auf das funkelnde Manhattan in der Ferne.
»Es ist so wunderschön, Frankie.«
»Ich weiß.«
Du sagtest nichts mehr. Ich trank mein Wasser und rollte mich wieder zusammen, um zu schlafen. Und dann fragtest du: »Weißt du, wer den Brief geschrieben hat?«
Ich schlug die Augen auf. »Welchen Brief?«
»Den Brief, den ich dir vorgelesen habe, den über Leonard. Über die Chrysanthemen und die gestohlenen Münzen?«
»Nein. Wer hat ihn geschrieben?«
Du blicktest auf die Stadt, die Augen starr geradeaus. »Frank Sinatra.«
Wir waren neun Monate zusammen, und dann waren wir nicht mehr zusammen. Am einen Tag war ich dein »Schatz«, und am nächsten Tag war ich »immer noch dein bester Freund«; ich brauchte eine Weile, um dahinterzukommen, dass ein Schatz höher einzustufen ist als ein bester Freund, dass ein Schatz mit dir zusammenleben und mit dir schlafen darf, während einem besten Freund wohlwollende Wangenküsse und lange, bedeutungsvolle Umarmungen zustehen.
Du packtest deinen Koffer und verzichtetest auf die Aussicht auf Manhattan, kehrtest zurück zu Luther und seinem namenlosen Bruder, zu Leonards Asche und Leonards Bett.
»Willst du Moby Dick wiederhaben?«, fragte ich, als du deine Pullover zusammenfaltetest.
»Behalte ihn. Vielleicht nimmst du im Unterricht mal Melville durch.«
Ich hielt dir die Tür auf, und du standest im Flur, in der einen Hand den Koffer, in der anderen die Einkaufstasche. »Du weißt, dass ich dich liebe, Frankie, oder?«
»Klar«, sagte ich. »Das sieht doch ein Blinder.«
Du schütteltest traurig den Kopf und küsstest mich auf die Wange. »Sarkasmus passt nicht zu dir.«
»Tut mir leid«, sagte ich.
Am Tag, nachdem du mich endgültig verlassen hattest, brach in meinem Gesicht der schwerste Fall von Akne aus, den ich seit der Highschool gehabt hatte. Ich wachte morgens mit dem bekannten Gefühl auf, als würde im Bereich zwischen meinen Augenbrauen etwas ticken. Im Badezimmerspiegel sah ich meine Befürchtungen bestätigt. Ein dicker roter Pickel starrte mich an; so geht es bei mir immer los.
Der Tag, nachdem du mich verlassen hattest, war ein Sonntag. Ich konnte nur auf meinem gestreiften Sofa sitzen und so tun, als würde ich lesen. So tun, als würde ich lesen, ist eine meiner Stärken; ich bin im Begriff, es zum Beruf zu machen. Irgendwann werde ich meinen Doktortitel haben und Studenten unterrichten, die so tun, als würden sie lesen.
Alle zwei bis drei Stunden markierte ich sorgfältig die jeweilige Seite und ging ins Badezimmer, um mich im Spiegel zu mustern, in morbider Weise fasziniert von der fortschreitenden Zerstörung meines Gesichts. Ich fragte mich, ob meine richtige Haut je wieder zum Vorschein kommen würde. Oder ob das meine richtige Haut war, dieses trostlose Terrain, und das Gesicht der letzten zehn Jahre nur der Traum von perfekten Poren.
Im Medizinschränkchen lag eine Tube mit rezeptpflichtiger Salbe bereit, doch ich beschloss, sie nicht zu benutzen. Das Mittel half ohnehin nie, aber darüber hinaus hatte ich das Gefühl, dass dies die gerechte Strafe war, meine persönliche Beulenpest.
Die Sachen, die du einzupacken vergessen hattest: ein Glas in Rum eingelegte Vanilleschoten im Küchenschrank,
eine orangefarbene Zahnbürste auf dem Waschbeckenrand und die Zweitschlüssel zu deinem Apartment.
Ich starrte lange auf die Vanilleschoten. Sie waren für mich das Traurigste, was ich je gesehen hatte, die eingeschrumpften Leichen einer Familie, die in ihrem Haus von
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