Alles auf Anfang
auflegt. Ich wartete in dem Coffeeshop gegenüber von deinem Haus und hoffte, dass du möglichst bald herauskommen würdest. »Möglichst bald« verging, und die hübsche Bedienung war es allmählich leid, ständig meine bodenlose Tasse aufzufüllen; sie setzte sich an den Tresen und ignorierte mich. Ich sah zum Fenster hinaus, spielte mit dem Salzstreuer und inspizierte mein verschandeltes Gesicht in der Vertiefung eines Löffels. Endlich sah ich dich aus deinem Haus treten. Du warst allein, und ich dankte dir für diese kleine Gnade.
Ich überquerte die Straße und schloss mit deinen Zweitschlüsseln die Eingangstür und die Vestibültür auf, fuhr mit dem Lift in den zwanzigsten Stock und betrat dein Apartment. Die beiden schwarzen Katzen lagen auf dem Bett, zeigten sich nicht überrascht, mich zu sehen. »Hallo, Luther«, sagte ich zu der schielenden Katze. Ich nickte der anderen Katze zu. »Hallo«, sagte ich, verlegen, da ich ihren Namen nicht kannte.
Ich nahm das schwere schwarze Tongefäß mit Leonards Asche vom Verstärker und wandte mich zum Gehen. Die Katzen beobachteten mich. »Ladrão«, sagte ich zu Luther, mit dem Daumen auf mich deutend. So heißt »Dieb« auf Portugiesisch, aber Luther gab durch nichts zu verstehen, dass ihn das kümmerte. Meine Augen tränten, ich winkte den Katzen zum Abschied zu und verließ das Apartment.
Die Fahrt quer durch die Stadt zu Michaels Garage war lang. Ich saß hinten im Bus, halb benommen von den Dieselabgasen,
das schwarze Tongefäß auf dem Schoß. Niemand nahm Notiz von der Urne, die keine Urne war. Ich hatte gute Lust, den alten Mann anzustoßen, der neben mir saß, einen alten Mann, der an einem Bleistiftstummel kaute, sich eine zusammengefaltete Zeitung dicht vor die Augen hielt und das Kreuzworträtsel studierte. Ich hatte gute Lust, ihm einen Stups zu geben und zu sagen: »Das ist die Asche des Vaters meiner Exfreundin. Das ist alles, was von einem amerikanischen Original übrig bleibt. Wollen Sie ihm nicht Ihre Ehrerbietung bezeigen?«
Wir fuhren weiter Richtung Osten, unter meinem Sitz der brummende Motor, draußen die Stadt, von Straßenlampen gelb erhellt, die Fußgänger, die sich gesenkten Kopfes vorwärtsbewegten, die Ladenbesitzer, die auf dem Bürgersteig standen, Zigaretten rauchten und die stählernen Rollgitter herunterließen. Und Leonard nur noch die Beute eines pickeligen Diebes.
Ich fuhr mit Michaels Rennwagen zu mir nach Brooklyn. Stündlich schaute ich aus dem Fenster auf die Straße hinunter, um mich zu vergewissern, dass er noch da stand, wo ich ihn geparkt hatte. Das Auto war zu rot für meine Straße, zu blank geputzt.
Ich studierte die Karte und legte meine Route fest, und um sechs Uhr morgens, nachdem ich drei Stunden gedöst hatte, ging ich hinunter zu dem wunderschönen Wagen. Da ich Angst hatte, die Urne könnte zerbrechen, wenn ich sie im Kofferraum ließ, schnallte ich sie auf dem Beifahrersitz fest, zusammen mit dem ramponierten Exemplar des Moby Dick, und fuhr vorsichtig, ging die Kurven langsam an. Wir
fuhren über die Brooklyn Bridge nach Manhattan hinein, den West Side Highway hinauf, über die George Washington Bridge nach New Jersey, auf dem Garden State Parkway nach Norden, bis wir wieder in den Bundesstaat New York kamen. Eine zweistündige Fahrt bis Sullivan County, das Radio auf einen Oldies-Sender eingestellt, der uns mit Carl Perkins und Elvis Presley, Jerry Lee Lewis und Bill Monroe versorgte, testosterongeladene und vor Schmalz triefende Südstaatenstimmen. Die Sonne ging drüben über dem unsichtbaren Atlantik auf, die Highways waren frei, und das Radio spielte kratzend ausgeleierte Schallplatten. Und an diesem Morgen kam es mir vor, als wäre die Liebe ein Sänger, mit Pomade im Haar, Koteletten und schlechten Manieren, der mit einer von zu vielen Zigaretten heiser gewordenen Stimme ins Mikrofon knurrt, einer Stimme, die der billige Whiskey ruiniert hat. Aber er trifft die hohen Töne, und er trifft die tiefen.
Leonard war ein guter Beifahrer. Nicht dass wir kommuniziert hätten, nein, das meine ich nicht. Ich meine damit, dass mein Kopf voller Erinnerungen an Leonard war. Deinen Erinnerungen an Leonard. Er lehnte es ab, sich fotografieren zu lassen, hattest du mir erzählt; er war zutiefst abergläubisch, war wie die Beduinen überzeugt, dass eine Fotografie die Seele stiehlt. Ich hatte nie sein Gesicht gesehen. Aber ich stellte ihn mir mit wildem Blick und glatt rasierten Wangen vor, mit buschigen
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