Alles auf dem Rasen
öffentlichen Toilette und starrte in den Spiegel.
Nicht anders geht es den Frauen von Bettina Rheims. Sie sind gefangen in jener Bruchteilssekunde, die der Verschluss einer Kamera zum Auf- und Zuschnappen benötigt, und man merkt ihnen an, dass es kein Leben vor und nach dem »Klick« für sie gibt.
Da steht ein rothaariges Blumenkind vor einer weißen Wand, ihre nackte Haut noch heller als der Hintergrund. Eine schneewittchengleiche Dunkelhaarige hebt mit beiden Händen eine Brust aus dem Ausschnitt ihres grünen Mantels, als wollte sie eine Frucht zum Verkauf anpreisen. Eine Asiatin sitzt, klein und flachbrüstig wie ein Kind, in geblümter Unterhose auf einem großen Stuhl. Sie stehen, liegen, kauern, hocken, spreizen die Beine, kehren uns den Rücken zu. Einige von ihnen kennen wir, sie heißen Madonna, Brooke Shields oder Kylie Minogue, und das Interessante daran ist, dass ihre Namen in diesem Fall keine Rolle spielen. Die Frauen befinden sich in Privatwohnungen oder Hotelzimmern vor geblümten Tapeten, in Gesellschaft von Telephonen, Bettüberwürfen oder Bidets, und immer umgibt sie ein Hauch fiktiver Vergangenheit, in dem sie wie seltsame Zukunftswesen schillern. Sie sind ausgeschlossen von der Zeit, festgehalten von einem Blick, der nicht länger andauert als ein Wimpernschlag. Trotzdem oder gerade deswegen halten sie einen Zipfel Unendlichkeit in Händen – einer Unendlichkeit, die nicht ihrer Existenz, sondern dem Theaterfundus in der Seele des Zuschauers entstammt. Bettina Rheims und ihre Modelle präsentieren eine Menagerie aus ewig-flüchtigen Prototypen einer Weiblichkeit, die im echten Leben nur als Streben, nie als Vollendung vorkommt. Sie erschaffen und fixieren jenen geheimnisvollen Augenblick, in dem es gelingt, endlich etwas anderes zu sein als immer nur Fleisch, Blut, Haut und Knochen.
»Es ist schön, dich atmen zu hören«, sagte ich.
»Ich atme doch gar nicht«, antwortete sie.
Wenn eine Frau nackt ist, spricht ein Mann von Erotik. Wenn eine nackte Frau auf einem Bild erscheint, spricht er von erotischer Photographie. Wenn eine Frau dieses Bild gemacht hat, nennt man sie einen weiblichen Helmut Newton. – Schockierend sei diese Arbeit, finden ihre Kritiker, obszön und frivol, und das nicht nur, wenn Rheims einen weiblichen Jesus ans Kreuz nagelt oder eine halb nackte Salome den blutigen Kopf des Johannes servieren lässt. Sie arbeite über das Phänomen des »Glamour«, behaupten ihre Fans, bediene sich dabei ihrer Mannequin-Erfahrungen aus der Welt der Reichen und Schönen und zitiere die Ästhetik von Werbung und Film.
Aber was ist Glamour? Zitiert Bettina Rheims wirklich die Werbung, oder bedient sie sich einfach an einem ähnlichen Reservoir moderner Visionen? Und was soll daran das Verstörende sein? Sind wir nicht reichlich versorgt mit nackter Haut auf allen Kanälen, finden wir es nicht längst viel zu anstrengend, beim Anblick jeder Brustwarze in Schockstarre zu verfallen?
Erschreckend ist immer das Fehlen von Distanz. Dabei geht es in diesem Fall nicht um die Distanz zwischen Photographin und Modell und damit auch nicht um jene zwischen Modell und Betrachter. Derart starke Inszenierungen bringen Persönlichkeiten hinter Oberflächen zum Verschwinden und lassen wenig Raum für Intimität. Distanzlos ist die Art, in der Rheims’ Bilder den Betrachter mit sich selbst konfrontieren. Anders als Newtons Werke erschaffen sie kein geschlossenes System, das sich selbst als Erfindung eines einzigen, obsessiven Geistes ausweist. Eher reißen sie jedem Hingucker die eigenen, verborgenen Ideen aus dem Kopf und heften sie wie Schmetterlinge mit Nadeln auf das Papier. Vielleicht sind die dargestellten Szenen nicht nur der Einbildungskraft der Photographin entsprungen, vielleicht wurden sie von den unzähligen Photographierten mitbestimmt und erreichen deshalb in ihrer Vielzahl und Vielfalt den Status einer wunderlichen Allgemeingültigkeit. Sie erwecken im Betrachter den Eindruck, auf fast unanständige Weise an ihnen beteiligt zu sein.
Wir standen umschlungen. Das Licht der Laterne baute ein Zelt, das keiner von uns verlassen wollte. Wir konnten uns nicht entscheiden, welcher Moment der letzte sein sollte. Dieser? Oder doch der nächste? Wie sollte man eine Sekunde auswählen, wenn es ihrer so viele gab und sie sich alle so verdammt ähnlich sahen?
Irgendwann habe ich aufgehört, eins meiner Hirngespinste sein zu wollen, und bin dazu übergegangen, sie in kursiv gesetzten
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