Alles auf dem Rasen
Aggressiv-kriegerisches Verhalten zwischen funktionierenden Demokratien gilt als unwahrscheinlich. Das Fehlen von Existenzangst harmonisiert und befriedet Gesellschaften und lässt damit Raum für die Konzentration auf andere, ideelle Ziele.
Entsprechend findet sich in der achten Erwägung der Präambel des EGV der »Wunsch, durch den Zusammenschluss [der] Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen«. Die ökonomische Zusammenarbeit soll als Instrument eingesetzt werden, als Mittel zum Zweck einer höherrangigen Idee, nämlich der Verfolgung einer pazifistischen, freiheitlichen Idealvorstellung.
»Als Psychologe und Soziologe kann ich bestätigen«, sagt F., »dass eine Hand, die füttert, im Normalfall nicht abgebissen wird.«
»Folglich müssen ethische Überlegungen nicht unmittelbarer Bestandteil einer ökonomischen Kalkulation sein, um von dieser zu profitieren. Umgekehrt wird die Wirtschaft trotz ihrer utilitären Veranlagung den Zielen der achten Erwägung dienen, wenn sie erkennt, dass nur ein freier Konsument ein guter Konsument ist und dass in Kriegszeiten die Produktion und Verteilung von Gütern ausgesprochen schwierig ist. Außer in einzelnen, ganz speziellen Sektoren.«
»Im Aktentaschen-Sektor«, sagt F.
»Zum Beispiel«, sage ich. »Im demokratischen System gibt es also ein komplexes Verhältnis gegenseitiger Begünstigung zwischen politisch-moralischen Wertvorstellungen und wirtschaftlichem Interesse, und wo es zugunsten der einen oder anderen Seite versagt, lässt es sich durch relativ milde Regulierungen wieder ins Gleichgewicht bringen.«
»Was zunächst wie ein Widerspruch zwischen Werten und Wirtschaft aussieht«, sagt F., »entpuppt sich als eine Symbiose von Friede, Freude und Eierkuchen.«
»Und deshalb stehen gerade stabilisierungsbedürftige europäische Systeme trotz vieler mit der Integration verbundener Probleme und zu Lasten der erstrebten Homogenität weiter auf der Kandidatenliste: weil man sich von ihrer Aufnahme eine Sicherung der friedlichen wirtschaftlichen und freiheitlich-demokratischen Verhältnisse erhofft.«
»Komisch nur«, sagt F., »dass man ausgerechnet von einer angeblich unzureichend demokratisch ausgestalteten Körperschaft wie der EU erwartet, sie werde im Rahmen einer rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Homogenisierung der neu aufgenommenen Systeme deren demokratische Funktionsfähigkeit stärken.«
»Na gut«, sage ich, »aber das ist dann wirklich der letzte Widerspruch für heute.«
Mehr und weniger
Zunächst einmal: Die Demokratie ist eine Staatsform und die Europäische Union noch lange kein Staat. Diese einfache Feststellung mag geeignet sein, übersteigerte Erwartungen in Bezug auf die Beschaffenheit der Unionsorgane und Unionsverfahren für den Moment zu dämpfen. Natürlich kann ein demokratisches Procedere auch zur Entscheidungsfindung innerhalb von Körperschaften angewendet werden, die keine Staatsqualität besitzen, sei es im gern zitierten Kaninchenzüchterverein – oder in einer internationalen Organisation.
»Kann«, sagt F. »Muss es auch?«
Die Gemeinschaft wurde vor allem durch Übertragung von Gesetzgebungszuständigkeiten, aber auch von Rechtsprechungs- und – in geringerem Umfang – Verwaltungskompetenzen zur Trägerin autonomer Hoheitsgewalt, welche die Behörden, Organe und Bürger der Mitgliedstaaten unterwirft und im Konfliktfall die mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt verdrängt. Dabei liegen die Entscheidungszuständigkeiten in erster Linie beim Rat der Europäischen Union, der die Vertreter der Mitgliedstaaten auf ministerieller Ebene in sich vereint und somit keiner direkten Anbindung an die nationalen Parlamente unterliegt. Dieser Mangel an demokratischer Legitimation wird von den anwachsenden Mitwirkungsbefugnissen des Europäischen Parlaments nach wie vor unzureichend ausgeglichen.
Die im Rahmen der Gemeinschaft stattfindenden Angleichungsprozesse der Rechtsordnungen stehen zwar nicht unmittelbar im Verdacht, die demokratische Qualität der nationalen Systeme Stück für Stück wegzuharmonisieren. Die auf europäischer Ebene erlassenen Normen bleiben größtenteils den Mitgliedern zur selbständigen Umsetzung innerhalb ihrer demokratisch organisierten Gesetzgebungs- und Verwaltungsverfahren überlassen. Dennoch sollten mit fortschreitendem Übergang von Legislativkompetenzen diese auch demokratisch ausgeübt werden, wenn man vermeiden will, dass die zunehmende Tendenz zur europäischen
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