Alles auf eine Karte
gegenüber lange verschwiegen hatte: Ich hatte Angst, ausgelacht zu werden. Und die Tatsache, dass abgesehen von Smithers Publishing sämtliche Verlage in den USA meine Idee für völlig albern zu halten schienen, hatte meine Unsicherheit noch zusätzlich geschürt. Wie dem auch sei, ich würde Kent und Jess gleich heute Morgen davon erzählen, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, die womöglich durch irgendwelche Gerüchte entstehen könnten.
Ich entschied mich schließlich für eine Polyesterbluse mit breitem Kragen und Streifen in schwarz, orange und rot. Dazu zog ich meinen schwarzen Lieblingsanzug an: eine Kombination aus tailliertem Blazer und passender Hose mit leicht ausgestelltem Bein. Ich hoffte, dass mich dieses Outfit hip und trendig, aber nicht zu ausgeflippt aussehen lassen würde. Dann setzte ich meine Brille mit dem schwarzen Drahtgestell auf, zog mir einen Seitenscheitel und band mir die Haare zu einem tief sitzenden Pferdeschwanz zusammen. Ich wollte intelligent, aber nicht wie ein Nerd wirken; stylish und doch professionell; attraktiv und dennoch seriös.
Ehe ich aufbrach, betrachtete ich mich ein letztes Mal prüfend im Spiegel. Würde ich Smithers Publishing überzeugen können?
Um halb eins verließ ich mit dem Segen meines Abteilungsleiters und Kents Glückwünschen im Gepäck mein Büro und machte mich auf den Weg zum Verlag, der keine sechs Straßen entfernt war. Ich war so nervös, dass mir im wahrsten Sinne des Wortes die Knie schlotterten.
Mein Termin war für dreizehn Uhr anberaumt, aber ich bezweifelte, dass man mir etwas zu essen anbieten würde, also holte ich mir unterwegs bei Uncle Ken’s einen Bagel. Ich nahm gerade mein Wechselgeld von der Kassiererin entgegen, als ich mein Handy klingeln hörte. Ich kramte es aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. Es war Davey. Da ich gerade echt keine Zeit für einen Plausch hatte, ließ ich es klingeln und steckte das Telefon wieder ein. »Bye-bye, Davey.«
Ich trat auf den Bürgersteig hinaus und schlug den Weg zu Smithers Publishing ein. Ich war noch keine fünf Schritte gegangen, da traf mich etwas am Hinterkopf.
»Huch? Was … ?« Erschrocken fasste ich mir mit der Hand an den Kopf. Blutete ich? Hatte jemand auf mich geschossen? Oder hatte mich eine Taube erwischt?
Dann fiel mein Blick auf das Wurfgeschoss, das mich getroffen hatte: Auf dem Bürgersteig neben mir lag die Verpackung eines Sesam-Bagels.
»Auf frischer Tat ertappt, Waverly Bryson!«
Ich fuhr herum. Hinter mir an der Tür zu Uncle Ken’s Bagels stand Davey Mason. Er hatte sein Telefon in der Hand und bog sich vor Lachen.
»Davey!« Ich ging zu ihm zurück. »Entschuldige, ich hab’s eilig, deswegen bin ich nicht rangegangen.«
Er legte mir einen Arm um die Schulter und drückte mich an sich. »Wow, du bist ja richtig elegant angezogen heute. Für wen hast du dich denn so schick gemacht?«
»Ich habe gleich einen Termin.«
Er musterte mich mit schmalen Augen. »Einen Pressetermin?«
»Äh, nein.«
»Besprechung mit einem Kunden?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Geht’s um eine neue Ausschreibung?«
»Auch nicht.«
Er trat einen Schritt zurück. »Warte mal, du hast doch nicht etwa ein Bewerbungsgespräch, oder? Lässt du mich im Stich?«
Ich lachte. »Dich im Stich lassen? Niemals.«
»Versprochen?«
»Versprochen. Und jetzt muss ich wirklich los, sonst komme ich zu spät.« Ich warf ihm zum Abschied eine Kusshand zu, dann machte ich mich endgültig auf die Socken.
Die Büroräume von Smithers Publishing waren überraschend kreativ eingerichtet. Dunkle Dielenböden mit einem Stich ins Rote, hohe Wände in unterschiedlichen Gelb- und Grüntönen und an der Decke große Dachfenster. Überall hingen gerahmte Fotos von Bücher- und Zeitschriftencovers, darunter Biografien, Autobiografien, Romane, Sachbücher, Science-Fiction, Kochbücher, Wohnzeitschriften. Gab es eigentlich etwas, das dieser Verlag nicht publizierte? Ich fragte mich, wie meine Kartenserie wohl in die Produktpalette passte. Auf der Verlagshomepage hatte ich jedenfalls keinen Hinweis auf Grußkarten finden können.
Ich ging zum Empfangstresen. »Tag, ich bin Waverly Bryson. Ich habe um eins einen Termin«, sagte ich zu einer zirka fünfzigjährigen Empfangsdame mit kurzem weißem Haar.
»Guten Tag, Miss Bryson. Bitte nehmen Sie doch Platz, es wird gleich jemand für Sie da sein.«
Ich tat wie geheißen und sah dann auf die Uhr. Es war vier Minuten vor eins. Ob die
Weitere Kostenlose Bücher