Alles auf eine Karte
Besprechung wohl pünktlich anfangen würde? Ich stand noch einmal auf und erkundigte mich, wo die Toiletten waren. Die Empfangsdame deutete auf einen Korridor zu ihrer Linken, und ich trabte los. Unterwegs betrachtete ich die Fotos an den Wänden. Die Toilette war leer, und es lief leise Hintergrundmusik, was Erinnerungen an die Praxis meines Zahnarztes weckte.
Nachdem ich gepinkelt hatte, spülte ich und drehte an der Verriegelung meiner Kabinentür. Ich hörte ein ominöses Klicken, doch die Tür blieb versperrt.
Oh-oh.
Ich versuchte es noch einmal.
Vergeblich.
Das durfte doch nicht wahr sein. Das Schloss war im Eimer.
Verdammter Mist!
In zwei Minuten begann das wichtigste Meeting meines Lebens, und ich saß hier in der Kabine einer verlassenen Damentoilette fest. Was für ein Alptraum!
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich rüttelte und ruckelte und fummelte verzweifelt am Schloss herum, aber ohne Erfolg. Ich zerrte mit aller Kraft am Knauf, doch auch das nützte nicht das Geringste.
Ich bedachte das widerspenstige Schloss mit wüsten Beschimpfungen. Rüttelte erneut am Knauf. Sah auf die Uhr. Startete einen letzten Versuch. Ich muss hier raus!
Sollte ich schreien?
Schon eine Minute nach eins. Ich musste etwas unternehmen. Okay. Ich schloss die Augen, atmete einmal tief durch, legte mich rücklings auf den Boden und schob mich unter der Tür hindurch. Ganz recht. Ich kroch rücklings unter der Tür hindurch. Wie eine Schlange. In meinem schicken Hosenanzug.
Igitt.
Draußen rappelte ich mich auf, wusch mir die Hände, strich meine Kleider glatt, zog meinen Lippenstift nach und brachte meine Frisur in Ordnung. Dann trat ich einen Schritt zurück und betrachtete mich im Spiegel. Hatte ich das gerade geträumt?
Ein Glück, dass niemand hereingekommen war und mich bei meiner kleinen akrobatischen Einlage erwischt hatte!
Hoch erhobenen Hauptes marschierte ich zurück zur Lobby, setzte mich, nahm eine Zeitschrift zur Hand und tat, als würde ich darin lesen. Dann schüttelte ich den Kopf und gluckste in mich hinein. Auf dem Rücken unter einer Toilettentür hindurch robben – wer macht denn so etwas? Hin und wieder frage ich mich, ob vielleicht mein gesamtes Leben für eine dieser peinlichen Versteckte-Kamera-Sendungen gefilmt wird. Sie könnten sie Typisch Bryson nennen.
Es dauerte nicht lange, bis ein Mann in meinem Alter – vielleicht war er auch ein, zwei Jahre älter – auf mich zukam und mich begrüßte. »Tag, ich bin Wyatt Clyndelle. Schön, dass Sie gekommen sind.« Er sah aus wie Clay Aiken aus der zweiten Staffel von American Idol und stellte sich als Senior Lektor vor.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Wyatt. Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.« Ich erhob mich und schüttelte ihm die Hand, wobei ich versuchte, weder zu viel noch zu wenig Druck anzuwenden. Ich wollte weder übereifrig noch wie ein Schlaffi wirken. Ich finde, es gibt kaum etwas Schlimmeres als einen laschen Händedruck.
»Wir freuen uns ebenfalls, Waverly. Hier entlang bitte.« Er bedeutete mir, ihm zu folgen und steuerte auf einen Konferenzraum mit Wänden aus Glas zu, in dem zwei Frauen und ein Mann an einem langen, ovalen Tisch aus Kirschholz saßen. Der elegante eierschalenfarbene Teppich musste bestimmt allabendlich gereinigt werden, erweckte aber unleugbar den Eindruck, dass man hier an Erfolg gewöhnt war. Als Wyatt die große Glastür öffnete, hoben die drei Leute am Tisch die Köpfe.
»Guten Nachmittag allerseits. Darf ich vorstellen: Das ist Waverly Bryson. Waverly, das sind Emily Walton, Dean Paxton und Becca Bentley. Emily ist die Programmleiterin unseres Belletristiklektorats, Dean ist unser Vertriebsleiter, und mit Becca Bentley haben Sie, glaube ich, schon am Telefon gesprochen, richtig?«
Die drei erhoben sich, um mir die Hand zu schütteln, und während ich die Runde machte, fragte mich Wyatt, ob er mir einen Latte Macchiato machen solle.
Ich horchte auf. »Sagten Sie gerade einen Latte Macchiato machen ? Gibt es hier etwa eine Espressomaschine?«
Emily lachte. »Wir knausern nicht, wenn es darum geht, unsere Angestellten mit Koffein zu versorgen.«
»Wow, daran könnte ich mich gewöhnen«, sagte ich und nickte.
Gleich darauf hatten wir alle Getränke vor uns stehen, dazu wurde Gebäck gereicht. Wir plauderten ein wenig über das Wetter, dann räusperte sich Emily, um zu signalisieren, dass nun der offizielle Teil des Gesprächs beginnen würde.
»Waverly, ich möchte mich bei Ihnen
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