Alles auf eine Karte
verpasst haben. Ich brauche heute ungefähr fünfzehn Stunden Schlaf, wenn ich morgen am Stand wach bleiben will. Seid ihr denn überhaupt nicht müde?«
Davey schüttelte den Kopf. »Nö. Außerdem muss ich es doch ausnutzen, wenn ich mal Freigang habe.«
»Müde? Keine Spur«, sagte auch Kent. »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Feiern eingestellt.«
Die beiden machten sich auf den Weg, und ich begab mich auf die Toilette. Freigang? So sahen sie das also? Kopfschüttelnd wusch ich mir die Hände. Während sich Davey und Kent über einen Abend ohne bessere Hälfte freuten, packte mich die Einsamkeit plötzlich so heftig wie schon seit Monaten nicht mehr.
Freigang. Pfff. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als einen Menschen, mit dem ich mich auf das Sofa kuscheln konnte, jemanden, der wissen wollte, wie mein Tag gelaufen war und mir dabei die Füße massierte. Ich senkte den Blick und überlegte, ob ich überhaupt schon einmal mit einem Mann zusammen gewesen war, der mir die Füße massiert hatte. Aaron gehörte definitiv nicht in die Kategorie Fußmasseur.
Seufz. Warum verbreitete ich eigentlich immer noch Lügengeschichten über unsere Trennung?
Ich ließ meine Spange aufschnappen, schüttelte die Haare aus, kämmte sie mit den Fingern, dehnte meine Nackenmuskeln.
Himmel, ich hatte gerade mal Tag eins der Super Show hinter mir und fühlte mich bereits um Jahrzehnte gealtert. Ich dachte an all die Interviews, die ich beaufsichtigt hatte, all die Leute, mit denen ich gesprochen hatte, die ganze Nachbearbeitung, die fällig war, wenn ich am Samstag nach San Francisco zurückkehrte. Püh. Ich fuhr mir noch einmal mit den Fingern durch die Haare und inspizierte dabei mein Spiegelbild. Die Luftfeuchtigkeit in Atlanta wirkte sich wie immer vorteilhaft auf meine Haare aus, so dass sie trotz der Klimaanlage im Kongresszentrum gesund und kräftig aussahen. Moment mal, war das etwa …?
Ich beugte mich über das Waschbecken, um eine Haarsträhne an der Schläfe genauer ins Visier zu nehmen.
Tatsächlich.
Ein graues Haar.
WAS ZUM … ???
Ich riss es aus und hielt es gegen das Licht. Kein Zweifel. Mein erstes graues Haar. Es war ziemlich dick und … grau. Es sah aus, als hätte mir jemand ein Stück Zahnseide eingeflochten.
Du liebe Güte.
Ich warf das Haar in den Mülleimer und betrachtete mich im Spiegel. Was für ein Alptraum. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich musste hier raus. Rasch schob ich mir die Haare im Nacken zusammen und klemmte sie wieder mit der Spange fest, dann trat ich hinaus in den menschenleeren Korridor. Just in diesem Moment klingelte mein Handy. Als ich die Nummer auf dem Display sah, pfefferte ich es gleich wieder in meine Handtasche. Mein Dad schon wieder. Ich blieb stehen, lehnte mich an die Wand und schloss die Augen. Ein graues Haar! Nun war ich also offiziell auf dem absteigenden Ast.
Eine Männerstimme riss mich aus meinen Gedanken. »Hey, alles okay?«
Ich öffnete die Augen und sah Shane Kennedy vor der Tür der Männertoilette stehen.
»Ich habe gerade mein erstes graues Haar entdeckt!«, platzte ich heraus und schlug mir sogleich die Hand auf den Mund.
»Oh, Gott, bitte sagen Sie mir, dass Sie das nicht gehört haben!«, flüsterte ich.
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Tut mir leid, zu spät.«
»Ich dachte, Sie wären schon weg.«
Er deutete mit dem Daumen auf die Tür hinter sich. »Boxenstopp.«
»Oh, Gott, ist mir das peinlich. Bitte erzählen Sie’s Kent und Davey nicht, ja? Die beiden werden mich vierteilen.«
»Wegen eines grauen Haares?«
»Wegen jeder Kleinigkeit, die mich als alte Jungfer dastehen lässt.«
Er nickte bedächtig. »Die Jungs genießen es zwar sichtlich, Sie aufzuziehen, aber das ist doch alles nur Spaß, nicht?«
»Schon, aber … Na ja, manchmal gehen sie ein bisschen zu weit. Und diese Woche ist auch so schon schlimm genug.«
»Ach, ja?« Das klang überrascht.
»Oh, es hat nichts mit Ihnen oder der Super Show zu tun. Es ist bloß … Nun …«
Ich sah zu ihm hoch, und seine Augen sagten mir, dass ich ihm vertrauen konnte. Vielleicht sagten es mir aber auch die zwei Gläser Wein, die ich zum Dinner getrunken hatte. Wie auch immer, ich verspürte plötzlich den Drang, mich jemandem anzuvertrauen, der nicht Teil meines Lebens in San Francisco war. Jetzt auf der Stelle, vor den Toiletten von Morton’s Steakhouse.
»Kann ich offen mit Ihnen reden, Shane?«
»Klar.«
»Nun, ich … Es war mein Verlobter, der die Hochzeit in letzter
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