Alles auf eine Karte
hast, oder? Also, keine Beschwerden, ja? Wenn du die weichgespülte Variante hören willst, musst du dich schon an McKenna wenden.«
»Ich weiß, ich weiß.« Andie ist einfach knallhart.
»Okay, Süße, ich muss los. Meine Depiladora wartet nicht ewig auf mich. Wir sehen uns auf der Party!«
Grinsend legte ich auf. Andie würde es sogar noch gelingen, mich aufzuheitern, wenn ich gerade im Begriff wäre, in einen Lava speienden Vulkan gestoßen zu werden.
Ich beschloss, eine Runde joggen zu gehen, um den Kopf frei zu bekommen. Und tatsächlich wirkte die kühle Winterluft auf Stirn und Wangen wohltuend, als ich wenig später den Hügel hinunter zur Golden Gate Bridge trabte. Die Straßen waren wie leergefegt. Offenbar rüsteten sich schon alle eifrig für den großen Abend.
Diesmal war nur eine Handvoll Segelboote in der Bucht unterwegs. Der Anblick erinnerte mich an einen Segeltörn mit Aaron ganz am Anfang unserer Beziehung. Wir hatten die ganze Zeit über Händchen gehalten und waren sogar ein paarmal unter Deck gegangen, um zu knutschen. Und heute Abend würde er einer anderen Frau Treue auf Lebenszeit geloben.
Oh, Mann.
Ich hatte mir größte Mühe gegeben, nicht an seine Hochzeit zu denken, doch jetzt traf mich die Erkenntnis mit voller Wucht. Er hatte sich noch immer nicht bei mir gemeldet, selbst nicht, nachdem wir uns damals im Supermarkt begegnet waren. Das zeigte wohl eindeutig, dass ich nicht mehr Teil seines Lebens war und es vermutlich auch nie wieder sein würde.
Wenn ich doch nur aufhören könnte, daran zu denken! Warum machte ich mir immer noch so viel aus ihm? Warum tat es noch immer so weh? Auf einmal konnte ich nur noch mit Mühe die Tränen zurückhalten. Ich lief immer schneller, an den Rasenflächen des Marina Green vorbei, durch Crissy Field und über den Hügel hinunter zur Brücke. Keuchend und nach Luft ringend wischte ich mir mit dem Ärmel über die Stirn.
Es tat weh. Scheußlich weh. Und ich wusste, dass mehr dahintersteckte als der bloße Trennungsschmerz. Es hatte auch damit zu tun, dass ich Aaron offenbar gar nicht richtig gekannt hatte, sonst hätte mir doch auffallen müssen, dass er mich gar nicht wirklich liebte, oder? Ich meine, so etwas müsste doch eigentlich ziemlich offensichtlich sein. Hatte ich mir vielleicht nie Gedanken darüber gemacht, was es bedeutete, zu heiraten, weil ich zu sehr darauf erpicht gewesen war, mir selbst (oder meinem Dad?) zu beweisen, dass ein Mädchen wie ich einen Mann wie Aaron haben konnte? Die Frage, die mich am meisten quälte, lautete jedoch: Warum hatte mich Aaron nicht geliebt? War ich es nicht wert, geliebt zu werden?
Wenigstens ein kleines bisschen?
Ich wischte mir mit der linken Hand die Tränen aus den Augen, während ich dem Schotterweg auf den Hügel vor der Golden Gate folgte. Oben angekommen, blickte ich auf die Brücke hinunter und steigerte erneut das Tempo, bis ich einen regelrechten Zielsprint hinlegte. Ich war nicht müde. Ich fühlte gar nichts mehr. Ich wollte nur noch laufen, immer weiter, wollte alles hinter mir lassen und nie wieder stehen bleiben.
Dummerweise kam mir just in diesem Augenblick ein dicker Ast in die Quere, der hinter einer Kurve auf dem Weg lag. Ich sah ihn erst im letzten Moment, und weil ich so schnell unterwegs war, konnte ich nicht mehr rechtzeitig abbremsen oder ausweichen. Ich versuchte, darüber zu springen, blieb jedoch mit dem Fuß hängen, und ehe ich wusste, wie mir geschah, ging ich auch schon zu Boden.
Bis zu dieser Sekunde waren meine Gefühle eine verschwommene graue Masse gewesen, doch als ich nun auf dem Schotterweg landete, da fühlte ich plötzlich wieder etwas, und zwar sehr deutlich.
Ich fühlte, wie mein Knöchel splitterte.
*
Am Silvesterabend verwandelt sich die Notaufnahme eines Krankenhauses – selbst in der Nobelklinik von Pacific Heights – in die Kulisse einer Freak-Show. Anders ließ sich die Klientel hier nicht beschreiben. Es war noch nicht einmal achtzehn Uhr, als ich ankam, aber im Wartesaal drängten sich bereits die seltsamsten Gestalten. Es war nicht mit Sicherheit festzustellen, wer von ihnen bloß auf Drogen war und wer tatsächlich Schmerzen litt. Jedenfalls konnte ich mir lebhaft vorstellen, wie es erst gegen Mitternacht hier zugehen würde.
Ich hatte mich nach meinem Sturz auf allen vieren zum Wegesrand geschleppt und dort gut zehn Minuten gesessen, wohl wissend, dass ich in Anbetracht der höllischen Schmerzen in meinem Knöchel unmöglich bis zu
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