Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
unterwegs wohl unterhielten. So viel Gesprächsstoff, so viel, was vorbereitet werden musste. Die Hochzeit. Das Baby. Was es zum Abendessen geben würde.
Ob Ellen Jack einen Imbiss für die Schule mitgibt? Ist sie mit der gleichen Leichtigkeit und Begeisterung in die Mummy-Rolle geschlüpft wie ich? Ich weiß noch genau, was ich Jack an seinem ersten Schultag mitgegeben habe: ein Schinken-Käse-Vollkornsandwich, einen Pfirsich – er liebte Pfirsiche –, eine kleine Dose Rosinen, eine kleine Flasche Apfelsaft, eine gebutterte Scheibe seines geliebten Bananenbrots. Ich hatte alles bis ins Kleinste geplant. Hatte es mit meiner Mutter besprochen. »Und, hat er alles aufgegessen?«, wollte sie am Abend, als sie mich anrief, wissen. »Alles bis auf die Rosinen«, antwortete ich. Patrick hatte keine Ahnung, was ich Jack in seine Lunchbox gepackt hatte. Essen ist für ihn Nebensache.
Wenn man die Verantwortung für ein Kind trägt, ist der Alltag ausgefüllt mit all den Kleinigkeiten, die das Leben eines Kindesausmachen: seine Lunchbox, seine Schultasche, seine Schuhe, sein Lieblings-T-Shirt, seine Freunde, die Mütter seiner Freunde, seine bevorzugten Fernsehsendungen, seine Launen. Wird einem dann gesagt, dass man nicht länger für das Kind verantwortlich ist, dass man nicht mehr erwünscht ist, dass man nicht mehr gebraucht wird, dass man überflüssig geworden ist, kommt man sich vor wie ein gefeuerter Angestellter, der von einem Sicherheitsbeamten zur Tür geleitet wird. Das ist sehr schwer zu ertragen.
Das ist geradezu unglaublich schwer zu ertragen.
Jack hat doch sicherlich nach mir gefragt. Das muss doch total verwirrend für ihn gewesen sein.
Ich habe ihn im Stich gelassen. Ich mache mir Vorwürfe wegen meines kleinen Zusammenbruchs oder was immer es war, als Patrick sich von mir trennte. Ich konnte nicht mehr im selben Bett wie er schlafen, und deshalb bin ich eine Weile bei meiner Freundin Tammy untergekommen. Tammy. Was wohl aus ihr geworden ist? Sie hat sich solche Mühe gegeben, unsere Freundschaft aufrechtzuerhalten, aber irgendwie verschwand sie still und leise aus meinem Leben wie alle anderen auch.
Ich erinnere mich, dass ich fünf Tage später in Tammys Wohnung aufwachte, es war ein Freitag, und mir fiel siedend heiß ein, dass Jack direkt nach der Schule Schwimmunterricht hatte, und ich musste am Abend vorher doch immer seine Sachen zusammenpacken, und wer würde ihn denn jetzt hinfahren? Ich arbeitete von halb zehn bis halb drei. Ich hatte das so eingerichtet, damit ich Jack von der Schule abholen konnte. Ich tat das gern. Ich war flexibler als Patrick, und ich liebte es, Jack von der Schule abzuholen. Ich war doch seine Mutter. Es war mir egal, dass ich bei einer Beförderung übergangen wurde, weil ich nicht Vollzeit arbeitete. Ich tat, was jede Mutter tat: Ich legte meinem Kind zuliebe meine Karriere vorübergehend auf Eis.
Ich rief also Patrick an, um ihn an den Schwimmunterricht zu erinnern, und so fing alles an. So kam es zu meiner »Angewohnheit«. So kam es, dass ich mein altes Leben zu stalken begann.
Patrick behandelte mich wie eine völlig Fremde. Als ginge Jacks Schwimmunterricht mich nicht das Geringste an. Dabei war ich noch eine Woche zuvor dort gewesen, ich hatte Jack geholfen, seine Brille richtig aufzusetzen, hatte mit seinem Lehrer gesprochen, ob er nicht zu den Fortgeschrittenen kommen könne, hatte mit einer der anderen Mütter vereinbart, wann unsere Kinder sich zum Spielen treffen würden. »Bemüh dich nicht«, hatte Patrick gesagt. So gereizt und abweisend, als ob ich mich in Dinge einmischte, die mich nichts angingen. Als ob ich nie etwas mit Jack zu tun gehabt hätte. »Wir haben alles im Griff.«
Mich packte eine solche Wut, wie ich sie nie im Leben verspürt hatte. Ich hasste ihn. Ich liebte ihn immer noch. Aber ich hasste ihn. Und seit damals fällt es mir schwer, das eine vom anderen zu unterscheiden. Hätte ich ihn nicht so erbittert gehasst, wäre ich vielleicht imstande gewesen, einen Schlussstrich unter meine Liebe zu ihm zu ziehen. Ich weiß, das ergibt keinen Sinn.
Wenn er mir doch nur Zeit gelassen hätte, mich nach und nach aus meiner Rolle als seine Frau (ich sah mich immer als seine Frau) und als Jacks Mutter zurückzuziehen; wenn er mir doch nur mit dem Respekt, den ich verdiente, zugehört hätte, wenn ich ihn anrief und an etwas erinnerte, das Jack betraf; wenn er sich doch nur zu mir gesetzt und mir zugehört hätte und ich ihm hätte sagen
Weitere Kostenlose Bücher