Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
sicher, dass er sich nicht daran erinnerte, deshalb habe ich ihm eine Textnachricht geschickt und ihn darauf aufmerksam gemacht.
Anschließend sind sie in dieses Thai-Restaurant an der Ecke gegangen, wo er mir zum ersten Mal sagte, dass er mich liebt.
Ob sie wohl am gleichen Tisch gesessen haben? Ob er sich wohl an damals erinnert hat, und sei es nur eine Sekunde lang? Ich bin doch sicherlich einen flüchtigen Gedanken wert.
Ich habe keinen Tisch mehr bekommen. Sie müssen sich einen reserviert haben. Das hat bestimmt sie getan, er würde sich niemals die Mühe machen. Da bin ich in ein Café gegangen und habe ihm einen Brief geschrieben, nur um alles zu erklären, damit er endlich begreift. Ich habe ihm den Brief unter den Scheibenwischer geklemmt.
Ich freue mich schon auf meinen nächsten Termin bei der Hypnotiseurin.
3
»Es ist die Vorstellung des Menschen seiner selbst, die ihn formt; er ist das Ergebnis seiner Gedanken.« Das sagte Paracelsus im sechzehnten Jahrhundert. Der Gedanke von der Kraft des Geistes ist also nicht neu, meine Damen und Herren. Hiermit begrüße ich Sie.
E INLEITUNG ZU EINER R EDE E LLEN O’F ARRELLS BEIM A UGUSTFRÜHSTÜCK DER N ORTHERN B EACHES R OTARIER (leider konnte ein Großteil des Publikums sie aufgrund eines defekten Mikrofons nicht verstehen)
»Wir sollten gehen«, sagte Ellen gähnend.
»Ja, du hast recht«, erwiderte Patrick gähnend.
Keiner rührte sich.
Es war Donnerstagabend kurz vor elf, und sie lagen auf dem Rücken auf einer Picknickdecke, die sie auf einem grasbewachsenen Hang direkt unter der Harbour Bridge ausgebreitet hatten. Vorher hatten sie sich im Theater in Kirribilli ein albernes Stück angesehen. Nach der Vorstellung waren sie in ein winziges überfülltes Pasta-Restaurant gegangen, hatten dort gegessen und anschließend einen Spaziergang gemacht. Von der hölzernen Promenade am Hafen aus hatten sie dem Verkehr zugeschaut, der über die Brücke brauste, während darunter hell erleuchtete Fähren über das dunkle Wasser glitten. Es sollte nicht zu spät werden an diesem Abend, weil die junge Nachbarin, die auf Patricks Sohn aufpasste, am anderen Morgen in die Uni musste und er sie nicht zu lange als Babysitterin beanspruchen wollte. Er würde also nichtmehr mit zu ihr kommen, doch weder er noch Ellen verspürten Lust, den Abend zu beenden.
Sie gingen jetzt seit drei Wochen miteinander, und ihre Beziehung hatte nach wie vor diesen Glanz, diesen unverwechselbaren Geruch eines fabrikneuen Autos. Sogar ihre gähnenden Stimmen waren immer noch mit diesem scheuen Überzug drapiert: Siehst du, so klinge ich, wenn ich müde bin!
»Hast du morgen viel zu tun?«, fragte Patrick.
»Es geht«, antwortete Ellen. »Fünf Termine. Das reicht. Mehr ist mir zu anstrengend. Ich bin sonst immer fix und fertig.«
Sie merkte, dass sie das Gefühl hatte, sich rechtfertigen zu müssen – ein Überbleibsel aus ihrer letzten Beziehung. Jons Verachtung für ihren Beruf war immer sehr subtil gewesen, wie ein schwacher Duft, den sie nicht näher bestimmen konnte. Deshalb hatte sie auch nie etwas dagegen unternehmen können. Jon war ein noch glühenderer Atheist als Ellens Mutter ( Der Gotteswahn war sein Lieblingsbuch). »Bring mir den empirischen Beweis«, lautete einer seiner Lieblingssätze. Hatte Ellen von ihrer Arbeit gesprochen, hatte er den Kopf ein wenig schief gelegt und geduldig gönnerhaft gelächelt, als wäre sie ein süßes kleines Mädchen, das von Märchenprinzessinnen plapperte. Dann machte er eine spöttische, witzige Bemerkung, die nie so weit ging, die Existenz von Märchenprinzessinnen zu leugnen, sondern nur die anwesenden Erwachsenen erheitern sollte. »Ellen hat einen Bachelor in Hypnotherapie«, erzählte er den Leuten immer, was seine Art war, darauf hinzuweisen, dass Ellen keinen akademischen Grad erworben hatte. (Sie hatte sich für Psychologie eingeschrieben, dieses Studium aber mitten im zweiten Semester abgebrochen, um Hypnotherapie zu studieren. Ihre Mutter hatte das bis heute nicht verkraftet.)
Erst nach der Trennung von Jon war Ellen klar geworden, wie sehr sie sich während ihrer Beziehung verbogen und verkrampft hatte. Es war, als hätte sie bei jedem Wort, das sie sagte, versucht, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, und sich gleichzeitig genötigt gefühlt, ihre Existenz zu rechtfertigen: Ja, es ist in Ordnung, ich zu sein. Ja, ich glaube tatsächlich an mich und an das, was ich sage. Ich bin kein geistloses Leichtgewicht. Oder
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