Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
Bettes hatte stehen sehen. Da hatte nicht irgendjemand gestanden, was an sich schon schockierend genug gewesen wäre, sondern ich. Ich war sein Albtraum. Ich hatte mich zu seinem Albtraum gemacht.
»Weißt du, was du meiner Meinung nach tun solltest?«, sagte Kate.
»Mich einer Therapie unterziehen«, antwortete ich mit matter Stimme. Sie und die Hypnotiseurin hatten natürlich recht. Ich brauchte professionelle Hilfe.
»Ja, das wäre wahrscheinlich nicht schlecht.« Kate nickte. »Aber was ich sagen wollte … Du solltest damit aufhören.«
»Damit aufhören.«
»Ja, damit aufhören. Das ist mein überaus kluger Rat.«
»Einfach so? Damit aufhören und basta?«
Kate begann zu kichern. »Das würde ich sagen, wenn ich deine Therapeutin wäre. Saskia, hören Sie einfach damit auf. Wie wär’s stattdessen mit Stricken?«
Ich griff wieder zu meinen Stricknadeln. Kate lächelte. »Sehr gut. Du bist geheilt. Das macht dann zweihundert Dollar, bitte.«
Anscheinend hatte das Universum die Zeit für gekommen gehalten, mir eine neue Freundin zu schicken. Ob meine Mutter ihre Hand im Spiel gehabt hatte? Ich stellte mir vor, wie sie im Jenseits mit meinem Vater in einem sternengeschmückten Ballsaal tanzte. Sie hatten vielleicht gerade über mich geredet und den Kopf geschüttelt über mein schockierendes Benehmen. Nachdem Jack und ich die Treppe hinuntergefallen waren, hatte meine Mutter vielleicht gesagt: »Hab ich nicht gleich gesagt, dass sie nicht darüber hinwegkommen wird? Was sie braucht, ist eine neue Freundin!« Und dann hatte sie eine Eingebung: »Ich weiß! Sie brauchtjemanden, der stricken kann! Ich wollte immer, dass sie stricken lernt.« Und dann war sie davongeeilt, um die entsprechenden Formulare auszufüllen.
»Stricken statt stalken«, murmelte Kate. »Sprich mir nach: Stricken statt stalken!«
Das Olivenfest erwies sich als unerwartet reizvoll.
Wieso eigentlich unerwartet? Ellen wusste es nicht. Selbstverständlich war es reizvoll. Sie hatte solche Veranstaltungen immer schon gern besucht: Schulfeiern, Handwerksausstellungen, Bauernmärkte. Sie liebte die kleinen Stände und die freundlichen, ernsten Leute, die ihre Bioerzeugnisse aus eigener Herstellung auf weißen Tischtüchern anboten: Honig, Marmelade, Chutney, Wein oder, wie in diesem Fall, Oliven und Olivenöl. Sie liebte den Klang der Windspiele und die Düfte ätherischer Öle. Hier fühlte sie sich wohl, dies waren ihre Leute, das war ihr Ding. »Hippies mit Geld«, würde Julia sagen.
Ellen und ihr Vater schlenderten zwischen den Reihen weißer Zelte hindurch, deren Leinwände vom Wind sanft bewegt wurden, und atmeten die für Mittelmeerländer so typischen Gerüche nach Knoblauch, frisch gebackenem Brot und Blauregen ein. Die Spätfrühlingssonne liebkoste ihre Schultern, und ein tiefes, träges Gefühl von Zufriedenheit erfüllte Ellen.
Das lag teilweise daran, dass sie allmählich begriffen hatte, dass dies kein Date war und somit (aller Voraussicht nach) nicht die Gefahr bestand, ihr Vater würde plötzlich versuchen, sie zu küssen. Außerdem war ihre Übelkeit wie weggeblasen, und die Erleichterung darüber war vergleichbar mit jener, die man empfindet, wenn man einen lästigen Besucher endlich zur Tür bringen kann.
Der Hauptgrund aber war vielleicht der, dass ihr Vater Tränen in den Augen hatte, als er die Ultraschallaufnahmen von Ellens Baby betrachtete, und dann verlegen geworden war. In diesem Augenblick hatte er sich in einen authentischen Menschen verwandelt; er war nicht länger die Pointe eines Witzes über EllensLeben. Auf der Fahrt hierher (David hatte am Steuer gesessen, er war ein guter, lässiger Fahrer, genau wie Patrick) hatte sie gespürt, wie etwas tief in ihrem Inneren zu schmelzen begann. Warum sollte mich das nicht sentimental stimmen, dachte sie. Er ist mein Vater. Es ist nichts dagegen einzuwenden. Ich darf ihn gernhaben, wenn ich das möchte. Ich darf ihn mögen.
Sie blieben vor einem Verkaufsstand stehen, und sofort begann eine kleine, eifrige Frau ihnen einen leidenschaftlichen Vortrag über die Kriterien des Australischen Olivenverbandes hinsichtlich der Güteklasse von kalt gepresstem reinem Olivenöl zu halten. Sie holte so weit aus, dass man das Gefühl hatte, sie glaubte, David und Ellen wollten sich um die Aufnahme in die Güteklasse bewerben.
»Schön!«, sagte David, als die Frau endlich verstummte. »Nun, das ist wirklich … Was meinst du, Ellen, wollen wir mal probieren?«
Ellen tunkte
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