Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
breite Schultern, keine »He-seht-her-ich-trainiere-im-Fitnessstudio«-Schultern), einen gewöhnlichen Beruf, ein gewöhnliches Leben. Das Außergewöhnliche an ihm war nur, dass sie sich praktisch vom ersten Moment an so wohl gefühlt hatte in seiner Gesellschaft, gleich bei ihrem allerersten Treffen in diesem Café, das so unangenehm leer gewesen war.
Sie selbst hatte es vorgeschlagen, und sie war ganz entsetzt gewesen, als sie sah, dass sie praktisch die einzigen Gäste waren.Ihre Stimmen, nervös, wie das bei einem ersten Date meistens der Fall ist, hatten sich unnatürlich laut angehört, und die drei halbwüchsigen, gelangweilten Kellnerinnen hatten herumgestanden und nichts Besseres zu tun gehabt, als ihrer gestelzten Unterhaltung zu lauschen. Während sie auf ihre Cappuccinos warteten, hatte er mit einem kleinen Beutel Zucker gespielt, und als sich ihre Blicke irgendwann trafen, mussten sie beide angesichts dieser peinlichen Situation schmunzeln, und Ellen spürte, wie die Anspannung schlagartig von ihr abfiel, so als hätte sie eine starke Schmerztablette genommen. Es kam ihr so vor, als ob sie diesen Mann bereits kannte, seit Jahren schon gut kannte. Würde sie an ein früheres Leben glauben – und es war keineswegs so, dass sie diese Möglichkeit völlig ausschloss, in ihrer Praxis hatte sie schon alles Erdenkliche erlebt, daher stand sie selbst den absurdesten Möglichkeiten aufgeschlossen gegenüber –, hätte sie gesagt, sie mussten einander schon einmal begegnet sein.
Dieses Gefühl spontaner Sympathie hatte sie schon viele Male mit anderen Frauen erlebt (oh, in puncto Freundschaft mit Frauen war sie ganz groß), aber noch nie mit einem Mann.
Und daher würde es wehtun, wenn dieser nette Vermessungsingenieur namens Patrick Scott, den sie kaum kannte, jetzt mit ihr Schluss machte. Wahrscheinlich würde es ihr mehr als nur einen kleinen Stich versetzen.
Sie dachte an die vielen Hundert oder sogar Tausend Geschichten über Zurückweisung, die sie im Lauf der Jahre von ihren Patienten gehört hatte. »Ich hatte ein Drei-Gänge-Menü für seine Verwandtschaft gekocht, und beim Geschirrspülen teilt er mir mit, dass er mich nicht mehr liebt.« »Wir hatten einen tollen Urlaub auf den Fidschis verbracht, und auf dem Rückflug bestellen wir Champagner, und sie erklärt mir, dass sie ausziehen wird. Champagner! Als ob das ein Grund zum Feiern wäre!«
Oh, der nackte Schmerz auf ihren gequälten Gesichtern, selbst wenn die geschilderten Ereignisse Jahre zurücklagen. Die Zurückweisung durch einen Geliebten / eine Geliebte oder auchnur durch einen potenziellen Geliebten / eine potenzielle Geliebte war ein schwerer Schlag für das Kind in einem. Verlustängste, Erinnerungen an alte Verletzungen, Minderwertigkeitsgefühle und Selbsthass, alles wurde in einem mächtigen, unaufhaltsamen Strom wieder an die Oberfläche gespült.
Ellen versuchte, ihre Situation objektiv zu betrachten, als wäre es die Fallstudie eines Patienten, weil sie hoffte, dadurch Distanz wahren zu können. Es funktionierte nicht.
Natürlich war es möglich, dass sie ganz umsonst in Panik geraten war. Vielleicht hatte Patrick gar nicht die Absicht, sie abzuservieren. Es hatte keinerlei Hinweise darauf gegeben, und sie war sehr gut im Analysieren menschlichen Verhaltens. Schließlich war das ihr Beruf.
Sie sehe einfach hinreißend aus, hatte er gesagt, als er sie abgeholt hatte, und dabei ein so erfreutes Gesicht gemacht, als hätte man ihm ein kostbares Geschenk überreicht. Und er war keineswegs der aalglatte Charmeur, der zwangsläufig wusste, was eine Frau hören wollte. Beim Essen hatte es zwischen ihnen viele Blickkontakte gegeben, einige davon sicher länger, als unbedingt nötig gewesen wäre. Außerdem war ihr aufgefallen, wie oft er sich über den Tisch zu ihr gebeugt hatte. Was natürlich auch daher rühren mochte, dass er ein wenig schwerhörig war; sie wusste aus beruflicher wie aus privater Erfahrung, dass erstaunlich viele Männer nicht gut hörten.
Ihrer beider Körpersprache und ihr Atemrhythmus befanden sich im Einklang, und das nicht etwa, weil sie sich ihm angepasst hätte, zumindest nicht bewusst, wie sie es bei einem Patienten getan hätte. Es hatte weder Augenblicke peinlichen Schweigens noch unbehaglicher Verlegenheit gegeben. Er hatte auf respektvolle Art Interesse an ihrem Beruf gezeigt. Er hatte sie nicht aufgefordert: »Na los, hypnotisier mich! Lass mich gackern wie ein Huhn!« Er grinste nicht
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