Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
hätte keine Zeit verloren, mir den trauernden Witwer zu schnappen.
Simon war im letzten Schuljahr. Er hatte noch seine Schuluniform an, und aus irgendeinem Grund hatte er sich die Haare mit Gummibändern zu vielen kleinen Schwänzchen zusammengebunden, die ihm nach allen Seiten vom Kopf abstanden. Er sah aus wie ein Igel. Maureen entschuldigte sich ein ums andere Mal für ihn.
Das war es, woran ich dachte, als ich zum Haus hinaufging: wie nett alle zu mir gewesen waren. Die Haustür sah genauso aus wie damals.
So dumm. Wie kann eine intelligente Frau wie ich nur so dumm sein? Habe ich wirklich geglaubt, dass, nur weil die Haustür anscheinend die gleiche war, es die letzten Jahre einfach nicht gegeben hatte, dass ich nur eine x-beliebige alte Freundin war, die auf einen kleinen Besuch vorbeischaute? Meine Fähigkeit zum Selbstbetrug scheint keine Grenzen zu kennen.
Ich klopfte an die Tür und hörte von drinnen schallendes Gelächter, als würden sie mich auslachen. Das holte mich in die Wirklichkeit zurück. Da erst sah ich Patricks Auto, und ich konnte gar nicht glauben, dass ich es nicht bemerkt hatte, und ich dachte: Er ist mit Ellen hier. Er stellt sie seiner Familie vor.
Eine Sekunde lang spielte ich mit dem Gedanken, einfach wegzulaufen, aber sie hätten mich gesehen, und außerdem wollte ein Teil von mir einfach hineinspazieren und sagen: Wie könnt ihr diese neue Frau bei euch aufnehmen, so als ob ich nie existiert hätte? Wie könnt ihr das machen, ihr interessierte Fragen stellen, den nicht besonders guten Wein sorgsam einschenken, Salzgebäckanbieten? Wie könnt ihr nur alles genauso wie damals machen, nur mit einer anderen Frau? Kommt euch das nicht merkwürdig vor? Falsch?
Und dann ging die Tür auf, und Jack stand vor mir. Ich habe ihn natürlich seit damals einige Male gesehen, öfter, als Patrick ahnt, aber nie so nahe. Ich hätte mich ihm viele Male nähern können, aber ich wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen oder verstören.
Er lächelte mich an. Ein allerliebstes, offenes Lächeln. Er hat noch immer diese wunderschönen Augen. Und dann fing er an, ganz locker mit mir zu plaudern. Ich hätte genau in dem Moment, als er »Klopf, klopf« gesagt habe, um einen seiner Klopf-klopf-Witze zu erzählen, an die Tür geklopft, sagte er, und er überlegte, wie groß die Chancen seien, dass so etwas passiere – eins zu tausend vielleicht oder eins zu einer Million? Ich musste lachen, und in diesem Augenblick kam Maureen an die Tür, und ihre höfliche, verdutzte Miene wich einem Ausdruck nackten Entsetzens, als sie mich sah, so als wäre ich ein gefährlicher Eindringling.
Und dann kam Patrick, sein Gesicht hässlich verzerrt vor Wut, und dann sein Dad, ernst und mit sorgenvoller Miene, als wäre ein schrecklicher Autounfall passiert, und dann Simon, ganz erwachsen, ohne Rattenschwänzchen, er sah mich nicht einmal an, er packte Jacks Hand, als müsste er ihn vor mir in Sicherheit bringen.
Was ich auch sagte, es änderte nichts. Ich hätte am liebsten gebrüllt: Ich habe euch einmal geliebt! Ihr wart meine Familie! Aber sie wollten nur, dass ich ging.
»Wir haben sie geliebt«, sagte Maureen zu Ellen. »Wir haben sie wirklich gemocht.«
»Könnten wir jetzt vielleicht das Thema wechseln und uns über etwas Interessanteres unterhalten?«, schlug Patrick vor. Keiner achtete auf ihn.
Das Essen war vorüber, Jack war auf der Wohnzimmercouch eingeschlafen, und Ellen dachte, dass alle nach dem nervenaufreibenden Zwischenfall mit Saskia vielleicht ein bisschen mehr als sonst getrunken hatten, sodass sich ihre Zungen wunderbar lockerten.
»Das hat uns natürlich mitgenommen, als Patrick sich von ihr trennte«, fuhr Maureen fort. »Sie tat mir schrecklich leid. Sie hatte hier niemanden, wissen Sie, sie ist in Tasmanien aufgewachsen, deshalb waren wir wie eine Familie für sie.«
»Ich bin sicher, Ellen will das alles gar nicht hören«, warf Patrick ein.
»Oh, das macht mir nichts aus«, sagte Ellen, was die Untertreibung des Jahrhunderts war.
»Beziehungen gehen nun mal in die Brüche«, sagte George. »Es kommt vor, dass man jemanden nicht mehr liebt. Das kannst du ihm nicht vorhalten.«
»Das weiß ich auch, George«, entgegnete Maureen spitz. »Trotzdem tut mir das arme Mädchen leid.«
»Sie soll Patrick endlich in Ruhe lassen«, meinte George. »Das geht schon viel zu lange so.«
Maureen ignorierte ihren Mann und wandte sich direkt an Ellen. »Sie war wie eine Mutter für Jack.«
»Du
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