Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
aneinandergeschmiegt da. Colleens freie Hand lag auf Patricks Schoß, man konnte sehen, dass er sie ganz fest hielt.
Colleen lächelte das Baby an, Patrick lächelte in die Kamera. Das Foto war gerade einmal acht Jahre alt, aber Patrick sah so viel jünger und anders aus: Seine Augen wirkten strahlender, seine Wangen voller, seine Haare dichter und länger. Sein T-Shirt war das eines jungen Mannes, und er war unrasiert. Das Foto musste wenige Stunden nach Jacks Geburt entstanden sein. Stolz und ehrfürchtiges Staunen spiegelte sich auf den Gesichtern von Patrick und Colleen, ein Ausdruck, den Ellen von ähnlichen Fotos kannte. Seht doch nur, was wir vollbracht haben! Die Geburt des ersten Kindes. Eines dieser alltäglichen Ereignisse, die nur für die Betroffenen selbst so einzigartig sind.
Ellen fühlte sich peinlich berührt. Sie hatte den ganzen Tag an den Sex gedacht, den sie mit dem Ehemann dieser jungen Frau unter der Dusche gehabt hatte. Ganz schön geschmacklos. Mit Colleen hatte er eine richtige Beziehung gehabt. Er hatte sie geheiratet, hatte ein Kind mit ihr. Patricks Körperhaltung ließ erkennen, wie sehr er Colleen geliebt hatte.
Auf einmal sah Ellen in der armen, dummen, verrückten Saskia, die sich täglich aufs Neue zum Narren machte, eine Art Seelenverwandte. Wäre die reizende Colleen nicht gestorben (und dass sie reizend war, konnte man schon auf dem Foto erkennen), hätte Patrick nie auch nur einen einzigen Blick für Saskia oder Ellen übrig gehabt.
Sterben war wirklich eine elegante Art, eine Beziehung zu beenden. Keine Untreue, keine Langeweile, keine langen, komplizierten Gespräche bis tief in die Nacht. Kein »Ich hab gehört, sie ist immer noch allein«. Keine peinlichen Begegnungen auf Partys und Hochzeiten. Kein »Sie ist aber ganz schön auseinandergegangen« oder »Man sieht ihr ihr Alter an«. Sterben war etwas Endgültiges und Geheimnisvolles. Wer starb, hatte für immer das letzte Wort.
»Das ist meine Mum.«
Ellen fuhr erschrocken zusammen. Jack stand auf einmal neben ihr und betrachtete das Foto, das sie immer noch in der Hand hielt.»Das war an dem Tag, an dem ich auf die Welt gekommen bin. Meine Mum ist tot.«
»Ja.« Ellen stellte das Foto behutsam an seinen Platz zurück. Sie fragte sich, ob Jack die gleichen Gefühle für seine verstorbene Mutter hegte wie sie selbst für ihren nicht existenten Vater: eine Art gefühlloses Gefühl. »Ich weiß.«
»Das ist Dads frühere Freundin an der Tür«, sagte Jack. »Saskia. Sie hat eine Weile bei uns gewohnt.«
»Kannst du dich noch an sie erinnern?«, fragte Ellen neugierig.
Jack blickte seltsam verschlagen drein. »Irgendwie schon. Ich weiß noch, wie sie mich vom Kindergarten abholte und jedes Mal sagte: ›Schön, dass du wieder da bist, Jack.‹ Sie hatte immer einen kleinen Teller mit Keksen und Obst und so für mich gerichtet.« Er warf ihr einen schnellen, warnenden Blick zu. »Dad redet nicht gern über sie.«
»Ich weiß«, murmelte Ellen. Warum hatte Saskia ihn vom Kindergarten abgeholt? Musste sie nicht arbeiten? Warum holte Patrick ihn nicht selbst ab?
Draußen vor dem Haus war eine erregte Frauenstimme zu hören, kurz darauf wurde eine Autotür zugeknallt, ein Motor sprang an, und mit quietschenden Reifen fuhr das Fahrzeug davon.
Er hat gesagt, er würde die Polizei rufen, wenn ich nicht verschwinde.
Ich hatte doch gar nicht gewusst, dass er da sein würde. Ich war so glücklich, weil ich so toll aussah in meinem roten Kleid, und ich fühlte mich immer noch so frisch und sauber vom Nacktbaden im Meer, und ich fand, Patricks Eltern einen Besuch abzustatten sei etwas ganz Normales, Höfliches, Banales. Ich dachte irgendwie, dass es vielleicht an der Zeit wäre, mal wieder bei alten Freunden vorbeizuschauen, warum also nicht bei den beiden anfangen?
Ich hatte das nicht im Zuge meiner »Sucht« geplant. Meiner schmutzigen, hässlichen kleinen Sucht. Der beste Beweis dafür ist, dass mir Patricks vor dem Haus geparktes Auto gar nicht aufgefallen ist. Und dabei bin ich auf dieses Auto fixiert. Selbst wenn ich im Verkehr meilenweit hinter ihm feststecke, erfasst mein Blick es ganz von allein, so sehr bin ich daran gewöhnt, ihn zu verfolgen.
Als ich den Weg zum Haus hinaufging, dachte ich nur daran, wie ich zum ersten Mal dort gewesen war, als Patrick mich seiner Familie vorstellte. Jack lief vorneweg. Ich war nervös, weil Colleen noch nicht einmal ein Jahr tot war, und ich fürchtete, sie könnten denken, ich
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