Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
geh!« Jack sprang auf und lief aus dem Zimmer.
Sie hörten, wie die Tür geöffnet wurde und dann eine Frauenstimme sprach.
»Wahrscheinlich irgendeine wunderschöne Frau, die verzweifelt versucht, meinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen«, raunte Simon hinter vorgehaltener Hand Ellen zu. »Das passiert mir andauernd.«
»Ja, in seinen Träumen«, bemerkte Patrick.
Sie hörten Jack eine Weile reden.
»Schätze, er wird der geheimnisvollen Unbekannten seinen Klopf-klopf-Witz erzählen«, sagte Simon grinsend.
»Nun, ich denke, ich sollte … Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wer das sein kann.« Sich mit beiden Händen die Haare andrückend, ging Maureen hinaus.
Sie hörten das Lachen einer Frau. Patrick knallte sein Glas soheftig auf den Tisch, dass das Bier herausschwappte. »Das darf ja wohl nicht wahr sein!«
»Was denn?«, fragte sein Vater.
Patrick stand auf und schob den Vorhang an dem Fenster zur Straße hin auf die Seite. Er schüttelte den Kopf, die Lippen zu einem bitteren, grimmigen Lächeln verzerrt. Er ließ den Vorhang fallen und stürmte aus dem Zimmer, ohne Ellen anzusehen.
Ellen spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Patrick hatte unterwegs den Verkehr hinter ihnen nicht aus den Augen gelassen. »Keine Spur von der Kaninchenmörderin«, hatte er fröhlich gesagt, als sie vor dem Haus seiner Eltern hielten.
»Was ist denn los?«, wunderte sich Patricks Vater.
»Ich schätze, Du-weißt-schon-wer steht vor der Tür«, erwiderte Simon mit einem bedauernden, neugierigen Seitenblick auf Ellen.
»Verdammt noch mal«, sagte George. »Ich seh mal nach, ob sie mich als Schiedsrichter brauchen.«
»Sie wissen vermutlich von ihr, oder?«, sagte Simon vorsichtig, als sie allein waren. »Von seiner Exfreundin.«
»Ja.« Ellen presste beide Hände auf ihren Bauch, um sich zum Sitzenbleiben zu zwingen. Ich würde sie zu gern einmal sehen!
Sie horchte angestrengt.
Simon schüttelte den Kopf. »Muss komisch sein für Sie. Macht Sie das nicht nervös?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Ellen. »Ich kenne sie ja nicht einmal.« Sie gab sich Mühe, damit es sich nicht wie eine Beschwerde anhörte.
Patricks Stimme drang laut und deutlich bis zu ihnen. Ellen hatte ihn noch nie so reden hören, so scharf und hässlich. Er klang wie einer jener massigen, rotgesichtigen Hünen, die in den frühabendlichen Nachrichten eine Hand gebieterisch in Richtung Kamera erhoben.
»Wenn du nicht auf der Stelle verschwindest, Saskia, rufe ich die Polizei. Diesmal bist du zu weit gegangen. Das ist unakzeptabel.«
Und dann Jacks Stimme, schrill vor Angst oder Aufregung: »Daddy? Warum willst du die Polizei rufen?«
Simon zuckte zusammen. »Vielleicht sollte ich versuchen, den Jungen aus der Schusslinie zu holen.« Er ging hinaus.
Ellen blieb sitzen. Es gab keinen triftigen Grund für sie, sich einzumischen.
Sie fragte sich, ob sie sich um ihrer aller Sicherheit sorgen sollte, ob Saskia vielleicht eine Waffe oder ein großes, funkelndes Messer ziehen würde. In dem Buch, das sie las, stand zwar, dass die Mehrheit der Stalking-Opfer nie tätlich angegriffen wurde (sondern »nur« Psychoterror ausgesetzt war), aber es schilderte andererseits auch entsetzliche, auf Tatsachen beruhende Fälle, in denen der Stalker sein Opfer eben doch tötete.
Vielleicht hatte ihre Mutter recht, und sie sollte sich vor allem um ihre eigene Sicherheit sorgen: Was, wenn Saskia es auf sie abgesehen hatte? Ellens Mutter wäre mit Sicherheit stocksauer, wenn Ellen sich umbringen ließe.
»Okay, ich schlage vor, wir beruhigen uns jetzt alle erst einmal.« Das war Patricks Vater. Saskias Stimme hatte Ellen immer noch nicht richtig gehört.
Sie stellte ihr Glas auf dem Tisch ab, stand auf und schlenderte durch das Zimmer. Vor einem Regal mit unzähligen gerahmten Fotos blieb sie stehen. Eins zeigte Patrick mit einer anderen Frau. Ellen griff neugierig danach. War das vielleicht Saskia?
Als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass das Foto in einem Krankenhaus aufgenommen worden war und die junge blonde Frau, die im Bett saß, ein in eine blaue Häschendecke gewickeltes Baby im Arm hielt. Das musste Colleen sein. Patricks Frau. Seine verstorbene Frau. Ellen fragte sich, ob die Krebszellen, die sie nicht viel später getötet hatten, in diesem Augenblick schon in ihrem Körper gelauert und ihre Kräfte für ihren bösartigen Angriff gesammelt hatten. Patrick war zu Colleen aufs Bett geklettert, sie saßen eng
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