Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
Fuß auf. Sie konnte nicht auf kühle Milch am Morgen verzichten, sie brauchte sie, um ihrer Getreideflocken essen zu können.
Verdrießlich und schmollend, so als ob derjenige, der für das Fehlen der Milch verantwortlich war, ihr dabei zusähe und ein schlechtes Gewissen hätte, steckte sie alte Brotscheiben in den Toaster. Als sie hinausging, um die Zeitung hereinzuholen, musste sie sich durch taubedecktes, unangenehm feuchtes Blattwerk kämpfen, weil der Zusteller die Zeitung freundlicherweise mitten in die Hecke vor dem Haus geworfen hatte. Und um diesem Morgen die Krone aufzusetzen, stieß sie, während sie ihren Toast knabberte, beim Zeitunglesen (nichts als schlechte Nachrichten: Morde, tödliche Unfälle, Kriege und Selbstmordanschläge – die Welt trieb auf einem Meer der Tränen) auf einen Artikel mit der Überschrift Illustre Gäste geben sich ein Stelldichein bei Promi-Hochzeit .
Auf dem abgedruckten Foto erkannte Ellen ihre Patientin Rosie wieder. Es war ungefähr zwei Monate her, dass sie sie zuletzt gesehen hatte, und Rosie hatte in dieser Zeit dramatisch abgenommen. Ihre Rundungen waren verschwunden, sie trug ein schulterfreies Brautkleid und wurde von vier großen Brautjungfern in bodenlangen Kleidern eingerahmt. Sie hatte die Hochzeit also durchgezogen. Die unter Ellens vermeintlich kluger Hypnose erlangte Erkenntnis, dass sie das Rauchen nicht aufgeben wollte, weil sie ihren Verlobten im Grunde nicht liebte, hatte nichts zu bedeuten gehabt. Entweder sie traute ihren eigenen Gefühlen nicht, oder sie hatte beschlossen, ihn trotzdem zu heiraten, sei es des Geldes oder der sozialen Stellung wegen oder weil ihr der Mut fehlte, die Hochzeit abzusagen, nachdem die Einladungen an die »illustren Gäste« bereits verschickt worden waren.
Die Neuigkeit deprimierte Ellen über die Maßen. Sie kam sich unfähig und unnütz vor.
Als das Telefon klingelte, nahm Ellen sofort ab, in der Hoffnung, jemand werde seinen Termin absagen, vorzugsweise den ersten an diesem Morgen, damit sie gleich wieder unter die Bettdecke schlüpfen konnte.
»Guten Morgen«, sagte sie schroff. »Ellen hier.«
»Das hört sich aber nicht an, als ob es ein besonders guter Morgen für dich wäre!«
Es war Harriet, Jons jüngere Schwester. Die beiden Frauen waren Freundinnen geblieben, nachdem Ellen und Jon sich getrennt hatten. Harriet war eine winzige, spröde, herrische Person, und es kam vor, wenn auch sehr selten, dass Ellen der Sinn nach ihrer spitzzüngigen Plauderei stand, so wie sie manchmal eine seltsame Lust auf den eigenwilligen Geschmack von Lakritz verspürte. An diesem Morgen allerdings hatte Ellen das Gefühl, der Klang von Harriets leicht nasaler Stimme raspele ihre Nerven.
Sie holte tief Luft, als ob sie sich anschickte, einen steilen Hang hinaufzurennen, und sagte: »Wie geht’s dir, Harriet?«
»Gut, wunderbar, ich wollte nur ein bisschen mit dir plaudern. Hab ja monatelang nichts von dir gehört.«
Nur Harriet konnte auf die Idee kommen, jemanden montagmorgens um halb acht anzurufen, um »ein bisschen zu plaudern«.
»Ja, stimmt, ist viel zu lange her«, erwiderte Ellen und schloss eine Sekunde die Augen. Sie verspürte den absurden Wunsch zu schreien.
Jedes Mal, wenn sie mit Harriet sprach, sprang urplötzlich Jon in den Vordergrund ihres Bewusstseins. Sie konnte in Harriets Sprachmuster seine Stimme hören, sie konnte seinen Ausdruck vor sich sehen, halb lächelnd, halb höhnisch grinsend unter fast gesenkten Lidern. Harriet erinnerte sie daran, dass Jon immer noch existierte.
In ihren Unterhaltungen mit Harriet legte Ellen normalerweise Wert darauf, vor guter Laune überzusprudeln und zu demonstrieren, dass es mit ihrem Leben Volldampf voraus weiterging, damit Jon die entsprechende Botschaft übermittelt wurde. Sie wusste, dass Harriet es nicht versäumte, Jon von ihren Plaudereien zu berichten. So war Harriet eben: Sie sammelte Informationen und verstreute sie anschließend an die entsprechenden Leute. Im Idealfall hätte Ellen jetzt das Gespräch auf Patrick bringen müssen (»Hast du schon gehört? Ellen hat einen neuen Freund.«), aber sie hatte an diesem Morgen nicht die Energie für die schwärmerische Begeisterung, die er verdiente.
Stattdessen fragte sie: »Wie geht’s Jon?« Ihr war es lieber, er rückte gleich in den Mittelpunkt, als dass er die ganze Zeit in den verborgenen Winkeln dieses Gesprächs lauerte.
»Komisch, dass du nach ihm fragst. Du wirst es nicht glauben, aber mein
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