Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
eingefleischter Junggeselle von einem Bruder wird heiraten. Wir sind alle ganz geschockt. Das ist doch nicht zu fassen, oder?«
»Nein«, krächzte Ellen. Sie räusperte sich. »Du meine Güte!«
Vier Jahre hatte sie mit Jon zusammengelebt, aber das Wort Heirat war nie gefallen. Sie war davon ausgegangen, dass er nichtan die Institution Ehe glaubte, und er war nie auf den Gedanken gekommen, Ellen zu fragen, wie sie eigentlich darüber dachte. Aber offenbar hatte er nur nicht an die Ehe mit ihr geglaubt.
Das verletzte ihre Gefühle zutiefst. Sie konnte förmlich spüren, wie sie zerbrachen, wie eine Reihe feiner Porzellantässchen, die alle gleichzeitig in Stücke gesprengt wurden. Schmerzsplitter überschwemmten ihren Körper, winzige, die in ihren Nebenhöhlen kribbelten und brannten, ein großer, scharfkantiger, der sich mitten in ihre Brust bohrte. Oh, gütiger Himmel, das kann dir doch egal sein! Du liebst einen anderen! Du bist zum ersten Mal richtig verliebt! Das kann dir egal sein, das kann dir egal sein, das kann dir völlig egal sein!
War es aber nicht.
»Er kennt das Mädchen erst seit ein paar Monaten«, fuhr Harriet fort. »Sie ist Dentalhygienikerin.«
Ein paar Monate. Ein paar Monate nur, und schon wollte er sie heiraten. Vielleicht war Jon zum ersten Mal richtig verliebt. Selbstverständlich war es in Ordnung, dass Ellen nie richtig in Jon verliebt gewesen war, aber es war nicht in Ordnung, dass Jon nie richtig in sie verliebt gewesen war. Wieso? Weil sie die Nette war!
»Wir glauben alle, dass das nicht gut gehen wird«, sagte Harriet. Ihre Stimme war ein bisschen brüchig geworden, so als wollte sie jetzt, da der Schaden angerichtet war, einen Rückzieher machen.
Hatte sie absichtlich so früh an diesem Montagmorgen angerufen, zu einem Zeitpunkt, da die Schutzmechanismen jedes normalen Menschen noch nicht aktiviert waren, nur um Ellen diese Nachricht mitzuteilen und sie zu verletzen? Sie musste doch gewusst haben, was sie ihr damit antat. Die Vermutung lag nahe, hätte Ellen nicht gewusst, dass Harriet sie aufrichtig gern hatte.
»Na ja, ich hoffe für die beiden, dass sie glücklich werden.« Ellen war beeindruckt von der kühlen Gelassenheit ihrer Stimme. »Hör mal, Harriet, kann ich dich irgendwann zurückrufen? Das ist nicht mein Tag heute. Die Milch ist alle, und ich bin heute Morgen total schlecht gelaunt aufgewacht.«
»Leiden wir an PMS?«, bemerkte Harriet. Sie hatte immer schon schrecklich gern über ihren Menstruationszyklus geredet.
»Bin bloß mit dem falschen Fuß aufgestanden«, erwiderte Ellen.
Sie legte auf und fing an zu weinen. Abgehackte, zornige, bittere Schluchzer. Das war doch lächerlich. Das war doch maßlos übersteigert.
»Das ist bloß dein gekränkter Stolz«, sagte sie. Ihre Stimme hallte laut, kindisch und brüchig in der Küche wider. »Das ist nichts weiter als dein gekränkter Stolz.«
Es gab nichts Schlimmeres, als mit Jon verheiratet zu sein. Sie vermisste ihn nicht im Geringsten. Es hatte ewig gedauert, bis sie ihre Persönlichkeit wieder gekittet hatte, nachdem er sie systematisch auseinandergenommen, ihr Zweifel an jedem einzelnen ihrer Gedanken eingeflößt hatte. Er war selbstsüchtig, eingebildet, egozentrisch, widerwärtig, und doch hatte sie ihn verzweifelt geliebt. Sie wollte nicht mit ihm verheiratet sein, aber sie wollte auch nicht, dass er eine andere heiratete. Sie wollte ihn nicht, aber sie wollte, dass er sie wollte.
Das war dumm und unreif, aber es war so, und es gelang ihr nicht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Sie weinte und weinte. Eine Orgie unverhältnismäßigen Schluchzens und Jammerns. Am liebsten hätte sie ihn angerufen. Ihn angebrüllt: »Was hat mit mir nicht gestimmt?« Sie wollte dieses Mädchen sehen. Sie wollte die beiden beobachten. Sie wollte ihre Unterhaltungen belauschen.
Oh, Saskia. Jetzt verstehe ich dich. Jetzt weiß ich, wie es ist. Jetzt weiß ich es.
Und dann, nachdem ihre Schultern eine ganze Weile durchgeschüttelt worden waren, nach geräuschvollem Schniefen und Hochziehen der Nase, nach noch mehr Tränen, war es plötzlich vorbei, und Ellen fühlte sich bemerkenswert aufgeräumt und geläutert und befreit. Sie war zwar erschöpft, zittrig und blass, aber es ging ihr gut, so als hätte sie den letzten Rest einer verdorbenen Mahlzeit erbrochen.
Du meine Güte. Das war ja lächerlich. Das war wirklich komisch. Vielleicht hatte Harriet recht, und sie litt doch an PMS, obwohl ihre Hormone sich
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