Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
normalerweise zu benehmen wussten und keinen derart dramatischen emotionalen Wellengang verursachten.
Ellen griff nach ihrem Terminkalender, um nachzusehen, wann ihre Periode fällig war. Sie blätterte vor und zurück, langsam erst, dann immer schneller. Das war doch nicht möglich!
Oder doch?
Ich werde damit aufhören. Ich bin darüber hinweg. Ich höre auf.
Diese Gedanken gingen mir ironischerweise durch den Kopf, als ich mich heute auf den Weg zur Hypnotiseurin machte. Sie sah mitgenommen aus, als sie mir die Tür öffnete. Ihre Haut war fleckig, ihre Haare wirkten unfrisiert, und auf ihrem Oberteil prangte ein Fettfleck. Ich fand ihren Anblick erheiternd.
Als sie mich wie jedes Mal fragte, ob ich zuerst auf die Toilette wolle, sagte ich Ja, weil ich tatsächlich auf die Toilette musste.
Ich öffnete gewohnheitsmäßig das verspiegelte Medizinschränkchen über dem Handwaschbecken. Ich wusste ja, was ich dort finden würde, deshalb war ich nicht besonders neugierig. Die Markenfeuchtigkeitslotion aus dem Supermarkt, die Kontaktlinsenreinigungsflüssigkeit, das Deodorant und die Rasierklingen, eine Handvoll Lippenstifte und kleine Fläschchen mit Duftölkonzentraten.
Ich hätte es fast übersehen. Ich wollte die Tür schon wieder zuklappen, als mein Blick auf eine längliche, flache, rechteckige Schachtel fiel. Ich nahm sie eher gleichgültig heraus. Aber im nächsten Augenblick verspürte ich einen reißenden Schmerz in der Brust, als ob sich ein schneidend scharfer Haken in meinem Herzen verfangen hätte und daran zerrte.
Es war ein Schwangerschaftstest. Ich wusste es sofort, weil ich den gleichen bei mir durchgeführt hatte. Viele Male. Die Schachtel war schon geöffnet worden.
Ich klappte die Lasche hoch und zog zwei lange weiße Plastikstäbchen heraus. Sie hatte, um ganz sicherzugehen, schon beide Tests gemacht.
In dem kleinen Fenster in beiden Stäbchen war das gleiche Symbol zu sehen. Jenes, das zu sehen ich mir so sehr, aber immer vergeblich gewünscht hatte.
Die Hypnotiseurin ist schwanger.
9
Und Sie sollen nichts sehen, nichts hören, nichts denken als nur Svengali, Svengali, Svengali!
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Manchmal vergaß Ellen es für ein paar Minuten, bevor es ihr plötzlich wieder einfiel.
Sie hatte den Schwangerschaftstest erst sieben Stunden zuvor gemacht. Nachdem sie ihren Kalender aus der Hand gelegt und mindestens zehn Minuten aus dem Fenster aufs Meer gestarrt hatte, war sie schlagartig in Hektik verfallen, so als hätte jemand anders ihren Körper übernommen. Sie hatte sich eilig irgendwelche schon getragenen Sachen übergestreift, war ins Dorf gerast und hatte vor der Apotheke, die gerade erst öffnete, gehalten. Die gesprächige grauhaarige Dame, die Ellen normalerweise ihre Medikamente gegen Heuschnupfen verkaufte, hatte eine höflich teilnahmslose Miene aufgesetzt, als Ellen nach einem Schwangerschaftstest fragte, und über das für die Jahreszeit merkwürdige Wetter geplaudert, während sie den Schwangerschaftstest einpackte und die weiße Papiertüte zweimal faltete.
Ellen saß noch auf dem Rand der Badewanne ihrer Großmutter und hielt die beiden unbestreitbar positiven Teststreifen in ihrer schlaffen Hand, als ihr erster Patient an die Haustür klopfte.
Der Morgen verging, ohne dass sie sich später an irgendwelche Einzelheiten erinnerte. Sie hatte keine Ahnung, ob sie miserable oder hervorragende Arbeit geleistet hatte. Sie hatte geplaudertund zugehört und Trancezustände herbeigeführt und Quittungen ausgestellt, und während sie das alles tat, hatte eine verwunderte Stimme in ihrem Kopf die ganze Zeit gesungen: Ich bin schwanger, ich bin schwanger, ich bin tatsächlich schwanger!
Es war noch viel zu früh dafür. Sie kannten sich erst drei Monate. Ihre Beziehung war noch viel zu frisch für den Satz: »Ich bin schwanger.« Das hatte etwas Abgeschmacktes, Billiges. So etwas passierte einem halbwüchsigen Pärchen in einer Seifenoper.
Außerdem war es zu medizinisch. Aufgrund des zufälligen Zusammentreffens deiner Spermien mit meiner Eizelle, verursacht durch den unsachgemäßen Gebrauch oder eine Beschädigung des verwendeten Kondoms, ist meine Periode ausgeblieben, und ich habe bereits einen Test zur Feststellung der Schwangerschaftshormone in meinem Urin durchgeführt, und jetzt hast du den Salat.
Davon einmal ganz abgesehen: Wollte Patrick eigentlich ein Kind? Wollte er überhaupt noch
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