Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
hinsetzen. Einmal, als er nach Hause kam und ich auf dem Küchenfußboden saß, ein Schneidebrett auf meinem Schoß, und Karotten in Scheiben schnitt, huschte ein gereizter Ausdruck über sein Gesicht. Es muss furchtbar öde für ihn gewesen sein, eine Freundin zu haben, die sich aufführte, als wäre sie in fortgeschrittenem Alter.
Dann starb meine Mutter, und dann beendete Patrick unsere Beziehung. Vielleicht hatte er sich schon seit Längerem mit mir gelangweilt, und mein Bein war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Die Schmerzen in meinem Bein sind nicht mehr so schlimm, wie sie einmal waren, aber seit einem bestimmten Punkt ist es zu keiner weiteren Besserung mehr gekommen. Es ist, als wollten sie mich ständig an jene Zeit in meinem Leben erinnern, als sich alles grundlegend änderte. Die Schmerzen stehen für die Grenze zwischen dem Menschen, der ich heute bin – verschroben, zwanghaft, unsportlich –, und jenem, der ich vorher war – normal, glücklich, durchtrainiert, gesund. Sobald sich die Schmerzen bemerkbar machen, breitet sich analog dazu ein schleichendes Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit und Leere in mir aus.
Und von allen Menschen, die ich wegen meiner Schmerzen aufgesucht habe, war Ellen die Erste, die sich dafür interessierte, wie sehr dieses Leiden mein Leben beeinträchtigt.
»Das muss unglaublich frustrierend sein«, sagte sie, und sie wirkte so voller Mitgefühl, dass ich einen schrecklichen Moment lang fürchtete, in Tränen auszubrechen.
Ja, Ellen, es ist in der Tat unglaublich frustrierend, zumal es zu meinen Hobbys gehört, meinen Exfreund zu verfolgen, der, nebenbei bemerkt, zufällig Ihr derzeitiger Freund ist, und dass ich dabei oft zu Fuß gehen muss, erschwert die Sache ungemein, aber ich muss sagen, ich bin stolz darauf, dass ich nie aufgebe. Ich marschiere einfach weiter, mögen die Schmerzen auch noch so schlimm sein und die Leute mich anstarren, weil ich vor Anstrengung das Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzerre. Da geht sie, die verrückte alte Hexe, mit ausgestreckten Klauenhänden hinkt sie ihrem schmerzfreien Leben hinterher und versucht verzweifelt, ihre Krallen hineinzuschlagen und es zurückzuholen.
11
Vom Augenblick unserer Geburt an werden wir hypnotisiert. Wir befinden uns alle mehr oder weniger in einem Trancezustand. Unsere Patienten glauben, dass wir sie »in Schlaf versetzen«, aber unser vorrangiges Ziel ist es ganz im Gegenteil, sie aufzuwecken.
A USZUG AUS EINEM A RTIKEL, DEN E LLEN O’F ARRELL FÜR DIE Z EITSCHRIFT Hypnotherapie heute GESCHRIEBEN HAT
Der Samstag war wundervoll. Ellen und Patrick schliefen lange. Dann folgten ein Frühstück und Zeitunglesen im Bett. Ein langer Strandspaziergang und eine kurze Runde schwimmen (eine sehr kurze: Patrick fror bereits nach wenigen Minuten). Kaffee und Kuchen am Fluss. Mittagessen am Swimmingpool. Nachmittagsschläfchen.
Die Sonne und die Meeresbrise liebkosten Ellens Haut. Ihre Sinne schienen sich geschärft zu haben. Als sie die Hastings Street entlanggingen, nahm sie jeden Geruch wahr: den von Kaffee, vom Meer, von den Parfüms und Aftershaves und Sonnencremes der Passanten. Sie hörte jedes Bruchstück von Unterhaltungen, jedes herausplatzende Gelächter.
Es hatte den Anschein, als gebe es in Noosa eine Art Babyboom. Überall waren Babys und Kleinkinder und Schwangere mit dicken, runden Bäuchen zu sehen. Die Babys waren allesamt wunderschön: Ihre großen, schimmernden Augen schienen sich auf Ellen zu heften, als wüssten sie um ihr Geheimnis. Auch die Schwangeren schienen es zu kennen. Die Augen hinter Sonnenbrillen verborgen, lächelten sie Ellen geheimnisvoll zu.
Sie hatte sich so lange vom Klub der Mütter und Kinder ausgeschlossen gefühlt. Sie ertappte sich immer wieder bei dem Gedanken: Ob ich das auch irgendwann darf? So einen großen, kompliziert aussehenden Sportwagen schieben? Ein Baby auf den Arm nehmen, ohne vorher jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen? Ein Kleinkind an die Hand nehmen, um mit ihm über die Straße zu gehen?
Warum nicht ich?, fragte sie sich. Warum denn nicht?
Aber sie hatte es Patrick immer noch nicht gesagt.
Geeignete Momente hatte es genug gegeben, aber einer nach dem anderen verstrich. Sie hatten alle Zeit der Welt. Ellen hatte Patrick noch nie so entspannt erlebt. Sogar die Falten auf seiner Stirn schienen sich geglättet zu haben. Er suchte ständig ihre Berührung.
Von Saskia keine Spur. Ellens Magen entkrampfte sich
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