Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
Ellen.
»Es ist ein altes Stück. Ich dachte, das gefällt dir bestimmt. Er hat eine Geschichte. Die Geschichte von jemand anderem, meineich. Es ist kein Erbstück, aber ich glaube, du magst so etwas.« Er klappte den Deckel ein weiteres Mal auf und wieder zu, ohne hinzusehen. »Ich finde, du bist nicht der Typ für einen Nullachtfünfzehn-Diamantring. Jack hat mir beim Aussuchen geholfen.«
Er klang traurig und wehmütig, als redete er über etwas, das sich vor langer Zeit ereignet hatte.
»Das hört sich wunderbar an«, sagte Ellen. »Darf ich?«
Er schob das Etui über den Tisch, und sie öffnete es.
»O Patrick!« Es war ein Weißgoldring mit einem kleinen, ovalen meerfarbenen Aquamarin. »Er ist wunderschön. Genau so einen hätte ich mir gewünscht.«
Ellen hatte sich nie sonderlich für Schmuck interessiert. Sie konnte nicht wie andere Frauen sachkundig über Karat oder Schliff diskutieren. »Ooh, der funkelt aber!«, rief sie jedes Mal aus, wenn eine frisch verlobte Freundin ihr stolz ihre linke Hand zum Bewundern hinhielt. Für Ellen sahen alle Ringe gleich aus.
Aber Patricks Wahl war so hundertprozentig richtig, dass Ellen fast in Tränen ausgebrochen wäre. Der Ring war gleichsam der sichtbare Beweis dafür, dass er sie wirklich sah, so, wie sie war. Sie selbst hätte sich einen solchen Ring niemals vorzustellen vermocht, es war ein Ring, der sagte: Hast du das nicht gewusst? Das bist du.
Sie klappte das Etui bedauernd wieder zu. Sie wusste nicht recht, was sie tun sollte, noch hatte sie Patricks Frage nicht beantwortet. Sie dachte an Saskia und empfand zum ersten Mal gerechten, befriedigenden, hellen Zorn. Dieser Augenblick hatte ganz allein ihr gehört. Eigentlich sollte sie jetzt halb lachend, halb weinend ihren Kopf an Patricks Brust schmiegen und gelegentlich aufschauen und ihre Hand hochhalten und ihren Verlobungsring bewundern. Dieser Augenblick hätte sich in ihr Gedächtnis brennen müssen, aber jetzt war die Erinnerung daran für alle Zeiten verdorben.
»Wahrscheinlich hätte ich noch warten sollen«, sagte Patrick. »Aber es fühlte sich einfach richtig an, und ich dachte, was soll’s, ich weiß, dass sie die Richtige ist, und deshalb …« Er verstummteund blinzelte, wie Ellens Patienten es manchmal taten, wenn sie aus ihrer Trance erwachten. »Äh … hast du gesagt, du bist schwanger?«
Er wird die Hypnotiseurin also heiraten.
Er hat ihr einen Antrag wie im Film gemacht: rosiger Sonnenuntergang als Hintergrund, Champagner, Kniefall.
Ich dachte: Die zwei werden tatsächlich so ein Leben haben. Siehst du, manchen Leuten passiert das eben doch. Sie werden eine elegante Traumhochzeit feiern, wahrscheinlich am Strand, und es wird nicht regnen, und falls doch, wird es lustig sein, die Männer werden große Schirme aufspannen, und die Frauen werden mit ihren hohen Absätzen ins Trockene stöckeln, so schnell sie können. Ellen wird wegen ihrer Schwangerschaft nur ein einziges Glas Champagner trinken. Und dann wird das Baby zur Welt kommen, und alle werden sie im Krankenhaus besuchen, werden Blumen und Kameras mitbringen und scherzen und lachen. Dann werden sie ein zweites Kind bekommen, ein Mädchen, wenn das erste ein Junge war, oder einen Jungen, wenn das erste ein Mädchen war. Sie werden Freunde zum Abendessen einladen und jedes Wochenende von der ersten bis zur letzten Minute verplant haben, und bei Aufführungen oder Konzerten ihrer Kinder werden sie Tränen der Rührung wegwischen, und sobald die Kinder älter sind, werden sie reisen und sich Hobbys suchen, und irgendwann werden sie in eine reizende Seniorenanlage ziehen, und wenn sie sterben, werden ihre Kinder und Enkelkinder zusammenkommen und um sie trauern.
Wer würde um mich trauern, wenn ich heute stürbe? Meine Kollegen? Die würden ziemlich schnell darüber hinwegkommen, denke ich, und sich dann streiten, wer mein Büro bekommt. Freunde? Ich habe es innerhalb weniger Jahre geschafft, von allen Listen der Weihnachtskartenadressaten gestrichen zu werden. Durch meine eigene Schuld. Ich habe die Weihnachtsgrüße nie erwidert, weder die Anrufe noch die E-Mails. Ich war zu beschäftigt damit, Patrick nachzustellen. Das ist ein zeitraubendes Hobby. Meine Friseurin mag mich ganz gern, glaube ich, aber wer würde ihr mitteilen, dass ich gestorben bin? Sie würde denken, ich hätte den Friseur gewechselt. Was ich niemals tun würde. Vielleicht sollte ich irgendwo eine Nachricht hinterlegen: Im Falle meines Todes bitte meine
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