Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
erwiderte Ellen barsch.
Sie wollte nicht, dass Saskia merkte, wie verlegen sie war.
Nach der Landung stellte ich mich im Terminal hinter eine große Säule, von wo ich die beiden am Gepäckband beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.
Ellen schaute sich in einem fort um, als rechne sie damit, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Patrick konzentrierte sich ganz auf das Förderband, die Augen schmale Schlitze, die Haltung angespannt, bereit zum Sprung. So war er immer, wenn wir verreisten. Als ob man bei der Gepäckausgabe seine Kraft und Beweglichkeit beweisen müsste, als ob er sich auf sein Gepäckstück stürzen und es niederringen müsste. Das brachte mich immer zum Lachen.
Ellen fand es auch lustig. Ich sah, wie sie lächelte, als er plötzlich vorschnellte, sich ihre beiden Reisetaschen schnappte und sich triumphierend mit seiner Beute zu ihr umdrehte.
Die Tasche habe ich ihm in unserem letzten gemeinsamen Jahr zum Geburtstag geschenkt.
Ellen gehört zu den Leuten, die ein farbiges Band um den Griff ihres Koffers binden, damit sie ihn leichter erkennen. Sie hatte eine große, glänzende blaue Schleife um den Griff gebunden, feminin und kokett und so vernünftig. Dieses Band ist der Inbegriff all dessen, was ich an ihr liebe und hasse.
Ich beobachtete, wie sie zum Mietwagenschalter gingen. Patrick trug beide Reisetaschen. Jetzt, da sie schwanger ist, wird er sich vermutlich besonders fürsorglich und ritterlich zeigen.
Ich dachte immer, es sei mein Geburtsrecht als Frau, wenigstens ein einziges Mal im Leben jene Zeit erleben zu dürfen, in der man von einem Mann wie eine Prinzessin behandelt wird, in der er dir abends die Füße massiert, seine Hände auf deinen Bauch legt, dir gebieterisch befiehlt, nichts Schweres zu tragen.
Doch es sollte anscheinend nicht sein.
Wahrscheinlich würde mich das sowieso wahnsinnig machen. Ich bin zu groß, um wie eine Prinzessin behandelt zu werden. Mir gefällt lediglich die Vorstellung.
Als sie am Mietwagenschalter standen, sah ich, wie Patrick ihr das Genick massierte, während sie sich mit der Angestellten unterhielten. Einmal lachten sie alle drei schallend. Ich wartete, bis sie den Terminal verlassen hatten, ehe ich zum Gepäckband ging. Meine Tasche war das einzige noch verbliebene Gepäckstück. Es drehte sich auf dem Band langsam im Kreis, einsam und nicht beachtet. Keine hübsche Schleife. Alt und müde und schlaff. Das erinnerte mich an jemanden. An wen wohl?
»Hör auf, dich selbst zu bemitleiden«, fuhr ich meine Tasche an. Ein Mann, der gerade vorbeiging, wandte schnell den Blick ab.
Ich ging zum Mietwagenschalter. Mit mir lachte die Angestellte nicht. Sie knallte mir unwirsch die Dokumente hin, belehrte mich streng über die Selbstbeteiligung an der Versicherung und dass ich verpflichtet sei, das Auto sorgfältig auf eventuelle Mängel zu untersuchen, bevor ich es übernahm.
»Ich denke, das sollte Ihre Aufgabe sein, nicht meine«, sagte ich. Die Frau starrte mich nur an, und ich fügte hinzu: »Ach, vergessen Sie’s.«
Ich fuhr zum Sheraton und wappnete mich gegen die Erinnerungen, die beim Betreten der Halle auf mich einstürmen würden. Aber das Hotel war renoviert worden. Es sah alles völlig anders aus. Als hätten sie es absichtlich verändert. Du existierst nicht mehr, Saskia. Wir haben Innenarchitekten engagiert, um alle Spuren von dir restlos beseitigen zu können.
Von Ellen und Patrick keine Spur.
Ich ging zum Strand hinunter und versuchte, Ellens »Herdschaltermethode« gegen die Schmerzen in meinem Bein anzuwenden. Vielleicht hilft es sogar. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mir nur einbilde. Genau darum geht es, würde sie sagen – man muss seine Fantasie, seine Einbildungskraft benutzen, damit man den Schmerz nicht wahrnimmt.
Sie wird die Gelegenheit bekommen, ihre Methoden für eine schmerzfreie Geburt anzuwenden, denke ich. Es gebe Frauen, die einen Kaiserschnitt ohne Betäubung ertragen hätten, weil sie die körpereigenen natürlichen anästhesierenden Stoffe aktiviert hätten, hatte sie mit erklärt. Na sicher. Jemand schneidet dir den Bauch auf, und du spürst nicht das Geringste. Man muss nur daran glauben . Könnte aus einem Weihnachtsfilm stammen.
Der Gedanke, dass sie mir wegen meiner Schmerzen tatsächlich helfen könnte, ist mir eigentlich nie gekommen. Als sie mich fragte, was mich zu ihr führe, waren die Schmerzen in meinem Bein das Erste, was mir einfiel. Ich hätte auch antworten können: »Sie waren jetzt
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