Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
gebraucht. Der Parkinsonbefund traf auf einen ziemlich gesunden Körper und einen vitalen Geist. Meine Medikamente müssen nicht mit x anderen Tabletten gegen irgendwelche Vorerkrankungen harmonieren.
Ich war also bis dahin ein Glücksfall für meine Krankenkasse. Mit 57 Jahren erlebte ich den Einstieg in die mir gänzlich unbekannte Welt der Pillen. Kein Grund zur Klage. Ich kenne Parkis, die täglich zehn und mehr Tabletten brauchen und diese präzise zu festen Zeiten einnehmen müssen. Den Beipackzettel wollte ich erst gar nicht lesen. Meine Frau ist Kinderkrankenschwester. Sie studierte den Schrieb und sagte lapidar: »Nimm das Zeug! Einer von zehn wird zwar auffällig, aber du gehörst vielleicht zu den neun anderen, die es vertragen.« Irgendwann las ich den Waschzettel selbst durch: ein beängstigendes Gruselkabinett von Risiken und Nebenwirkungen. Aber ich habe keine Wahl. Ich begebe mich bei klarem Verstand auf den Weg in die Medikamentenabhängigkeit. Mir ist kein Medikament ohne Nebenwirkungen bekannt. Der primäre Befund gerät unter Kontrolle, aber die Medikamente bringen sekundäre Befunde hervor. So mein laienhafter Versuch einer Erklärung dieser komplizierten Krankheit. Aber es wird eifrig geforscht und das macht mich zuversichtlich.
Die Einnahme der Tabletten verbinde ich oft mit einem kurzen Gebet. »Danke Gott, dass du die Forscher so genial befähigt hast, dass sie Wirkstoffe finden, die genau da andocken, wo die Symptome gesteuert werden, und da fernbleiben, wo sie Schaden anrichten könnten.«
Jeder Krankheitsverlauf ist anders, man kann sich kaum an anderen orientieren. Das heißt, dass mein Verlauf schlimmer ausfallen kann als bei meinen Parki-Freunden oder aber auch besser. Manchmal tröstet mich diese Einsicht, manchmal macht sie mich traurig. Die ganze Schöpfung hat Risiken, Restrisiken, Nebenwirkungen und Kolateralschäden. Das ist Ausdruck der gefallenen Schöpfung. Sport ist gut gegen das Symptom Rigor, die allmähliche Versteifung der Gelenke. Zu viel Sport kann eben dieses Symptom noch verstärken. Und da ich gar nicht in der Gefahr stehe, mich als Triathlet zu verzehren, kommt mir das ganz gelegen. Mein Triathlon besteht im Sommer aus Fahrradfahren und Nordic Walking und im Winter aus Schwimmen.
Bisher habe ich meinen Körper als nützlichen Träger meines Kopfes betrachtet, jetzt beginne ich meine Physis kritisch zu beobachten. Die linke Seite lahmt, der schneidige Gang wird leicht zähfließend. Der Ein- und Ausstieg aus dem Auto wird zunehmend mühsamer. Der Magen toleriert tapfer den täglichen Pharmacocktail. Ob ich das in zehn Jahren auch noch sagen kann?
Aber das ist nach Sören Kierkegaard wieder die falsche, nämlich eine zutiefst heidnische Frage …
12.
Parki-Genossenschaft
Eine ermutigende Erfahrung war die Entdeckung von Leidensgenossen, die wie ich im theologischen Bereich tätig sind: Pfarrer, Theologen, Geschäftsführer und Vorstände von Non-Profit-Institutionen und leitende Leute im kirchlichen und diakonischen Bereich. Mit der beiläufigen Bemerkung meines Neurologen (»Wieder ein Pastor«) im Ohr habe ich ganz schnell Kontakte bekommen. Inzwischen treffen wir uns in unregelmäßigen Abständen zum Erfahrungsaustausch, zum Kaffeetrinken und zu Fachbeiträgen unseres Senior-Neurologen, der nach Beendigung seiner Praxisarbeit nun in der Forschung in Marburg tätig ist.
Der erste Parki-Genosse war einer meiner Kollegen, Leiter unserer französischen Tochterorganisation, ein Pfarrer aus dem Elsass. Er ist seit mehr als zehn Jahren unter Medikamenten und trägt tapfer seine Behinderung, die sich besonders im Tremor zeigt. Er war mein erstes Vorbild.
Das zweite Vorbild wurde mir ein Pastor, den ich während meines Studiums in Chicago kennengelernt hatte und der jetzt eine Gemeinde im Raum Hannover aufbaut. Auch er ist seit über zehn Jahren dabei und verfügt über viele wertvolle Erfahrungen, von denen ich profitiere. Er ist für mich ein Vorbild im Glauben, durch das ich sehr ermutigt wurde.
Der Dritte im Bunde war ein Unternehmer, mit dem ich im Vorstand einer christlichen Organisation Verantwortung trage. Er sah immer gepflegt und aufrecht aus, bis uns eines Tages sein eigentümlicher Gang auffiel. Und dann machte hinter vorgehaltener Hand das hässliche Wort »Parkinson« die Runde. Über unserem gemeinsamen Problem sind wir gute Freunde geworden. Wir bauen uns gegenseitig auf und genießen die schönen Dinge des Lebens. Während ich diese Zeilen
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