Alles außer Mikado: Leben trotz Parkinson (German Edition)
gehalten?
Kürzlich erzählte mir eine liebenswürdige Dame, dass der Mann ihrer Freundin durch die Parkinsonmedikamente geistig verwirrt worden sei und sich im Wahn umgebracht habe. Brutale Story! Der Tag war für mich gelaufen. Meine Frau merkte es gleich und erstickte die kurze Panikattacke mit einer liebevollen Umarmung im Keim. Das Filmteam in meinem Kopf war dabei gewesen, unter der Regie von Herrn P. wieder einen Horrorstreifen zu drehen.
Ich habe von einer alten Frau aus unserem Stadtteil gehört, die am Tag 24 Tabletten gegen Parkinson einnehmen muss. Weil das wegen der minutiösen Verabreichung purer Stress für die Angehörigen sei, habe man sie in ein Pflegeheim gegeben. Das war der Startschuss für die nächste Dramaproduktion in meinem Gehirnstudio. Hoffentlich muss ich nicht so alt werden. Mein Vater ist im 90. Lebensjahr gestorben. Ich würde gern so alt werden, aber bitte nicht mit P.! Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich öfter sehnsüchtig von einem frühen Tod rede. Dann legt mir meine Frau die Bilder von unseren Kindern und Enkelkindern hin und ich schäme mich meiner bösen Gedanken.
Die Leute, die mir diese Parkinsongeschichten erzählen, meinen es ja gut. Manche interessieren sich wirklich für mich, andere wollen ein schnelles »Es geht mir gut!« hören. Sie sind mit den Füßen noch bei mir, aber mit dem Kopf schon längst woanders. Irgendwann lasse ich mir eine Baseballmütze oder ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Danke, schlecht!« machen.
»Na, wie geht’s?«, ist die flüchtigste aller Small-Talk-Phrasen. Wer so fragt, hat das »Gut!« schon einkalkuliert, denn er hat gar keine Zeit, meine Antwort aufzunehmen. Darum schocke ich die Frager gern mit der flapsigen Antwort: »Danke, schlecht!« Die wenigsten registrieren die Ironie. Wer hat denn noch Zeit, sich den detaillierten Rapport meiner Befindlichkeit anzuhören?
Aber ich erlebe auch viel wohltuende Sprachlosigkeit, stilles Mitleiden, berührende Verlegenheit. Das ist echt, das kommt an, das tut gut.
Eines Tages musste ich zu einer Vorstandssitzung nach Frankfurt. Auf dem Weg zum Bahnhof kam ich an einer Bäckerei vorbei und nahm mir noch Zeit für einen Imbiss. Der Laden war leer, drei ansehnliche Verkäuferinnen standen ziemlich unterfordert hinter dem Tresen. Sie sahen irgendwie »cross« aus in ihren beige-grünen Rüschenschürzen. Fleischverkäuferinnen sehen immer eher »rare« oder »medium« aus, selten »well done«. Die Bäckereifrauen fragen auch nie, ob es ein wenig mehr sein darf.
Also fragte ich die erstbeste gerüschte Dame, ob ich eine ofenfrische Brezel haben könne. Gern! Ich fragte, ob sie mir die Brezel auch mit Butter bestreichen könne. »Nein!« – »Wie, nein? Sie können die Brezel nicht aufschneiden und mit Butter bestreichen?« – »Nein, das machen wir nicht!« Ich: »Ist das Ihr Ernst, dass Sie zwar jede Menge belegte Baguettes anbieten, aber keine Butterbrezel schmieren können?« – »Ja, denn das ist nicht üblich, aber ich kann Ihnen einen Butterwürfel und ein Messer geben, dann können Sie sich die Brezel selbst streichen!«
Einfach fürsorglich, diese Dame. Ich hätte ihr 5 Euro gegeben, aber sie blieb unbeirrbar und stur – obstinat –, wie mein bayerischer Lieblingskabarettist Gerhard Polt sagen würde. Ich war drauf und dran sie zu fragen, ob sie sich vorstellen könne, wie ein Parkinsonkranker unter Terminstress an einer Bäckertheke versucht, eine Brezel zu halbieren? Aber das verkniff ich mir. Im Zug schrieb ich dem Geschäftsführer eine Mail.
Zwei Wochen später testete ich den Bäckerladen noch mal, weil ich wieder in Frankfurt zu tun hatte. Dieses Mal waren die Damen hellwach. Sie schauten mich etwas betreten an, nachdem ich meinen Wunsch geäußert hatte, und griffen beim Stichwort »Brezel« reflexartig zum nächstbesten Messer. Nun kriegten sie es gebacken. Ich revanchierte mich mit einem vielsagenden Lächeln und rundete die Bezahlung kräftig auf. Blankes Entzücken in der Rüschenschürze.
Ihr Parkis und sonstige Cousins und Cousinen von Herrn Parkinson, ihr Rolli-Piloten, lasst euch nicht die Butter von der Brezel nehmen. Rührt euch charmant, wenn der Service der Mobilen lahmt.
Ich bedankte mich im Zug gleich per Mail beim Geschäftsführer und schlug die Butterbrezelkönigin zur Mitarbeiterin des Jahres vor. Er war total überrascht, kriegt er doch sonst nur Beschwerden serviert.
Hektik und Termindruck befeuern die Tremorsymptome. Ich muss mehr Zeit
Weitere Kostenlose Bücher