Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
dass getrenntes Schlafen auch keine sexuelle Lösung ist, denn seit Carstens Einzug fielen wir auch ohne Rückenschmerzen nicht mehr ständig übereinander her. Wir haben zwar immer noch Lust auf ein Feuerwerk im Bett, aber oftmals kommt es nicht zur notwendigen Initialzündung. Wir brauchen für einen erotischen Akt einfach viel mehr Zeit. Weil es nicht reicht, einfach mal ein Feuerzeug zu entzünden, damit der Funke überspringt. Das ganze Spiel bedarf mindestens einer halben Stunde gegenseitiger Reibungswärme.
»Ganz schön anstrengend ist das, Chicilein. Sei froh, dass du sterilisiert bist. Musste dir solche Sorgen nicht machen wie ich. Meine Mama hat immer zu mir gesagt: ›Sex ist ab einem bestimmten Alter nicht mehr so wichtig, Tati!‹«
»Mäh!«
»Von wegen, nicht mehr so wichtig. Hahaha! Sex wird ab einem bestimmten Alter unmöglich. So isses nämlich, Chica.«
Nach dieser niederschmetternden Erkenntnis lasse ich mich, mit alkoholumnebeltem Kopf und einer doppelten Chica vor Augen, auf das viel zu kurze Küchensofa zurücksinken.
Die zwei Katzen springen beleidigt vom Sofa, ich greife nach den beiden Decken und lege mich auf den Rücken. Kopf und Unterschenkel ragen über die Armlehnen hinaus. Alles dreht sich im Kreis. Gab es nicht mal so eine Band? Gruppe Kreis, mit der Frau, die immer in die Querflöte gebissen hat? Mir ist sooooo schlecht!
Heilkunde und Hypochonder
Am nächsten Morgen rächt sich mein Körper brutal für die ausufernde Selbstmitleidsparty nach dem Sex-Riesling-Fiasko. Als ich die Augen aufschlage, habe ich nicht nur Rücken, sondern auch Beine und Kopf. Die Unterschenkel sind abgestorben, in meinem Schädel wird gerade ein hämmerndes Schlagzeugsolo gespielt, und im Rücken turnt ein Trapezkünstler an Muskeln und Sehnen. Als ich mich in die Senkrechte hieve und der Turner gerade an meiner Halswirbelsäule einen gebückten Felgenumschwung übt, fällt es mir siedend heiß wieder ein. Carsten! Ich springe in einem Affenzahn Richtung Schlafzimmer und reiße die Tür auf. Carsten sitzt mit schmerzverzerrtem Gesicht, den Unterarm wieder auf dem Kopf abgelegt, ziemlich schief auf dem Schlafsofa. Er sieht nicht zu mir, sondern starrt auf den Fußboden.
»Ich halte das nicht aus. Bitte mach was. Irgendetwas!«
Wie von der Tarantel gestochen renne ich zurück in die Küche, Chica springt kreischend davon, ich nehme mein Handy und wähle die Nummer von Iris. Iris ist Physiotherapeutin.
»Iris, bitte, du musst mir helfen. Carsten hat irgendeine Zerrung oder Schleimbeutelentzündung oder so. Er hat Schmerzen im Rücken. So habe ich ihn noch nie erlebt!«
»Bleib ruhig, Tante Iris ist doch da.«
Ja, sie hat gut reden, aber ich … habe Angst.
»Können wir kommen? Sofort?«
»Ja, kommt. Ich schieb euch zwischendurch rein!«
Etwas beruhigter lege ich auf und sprinte zurück zu meinem Pflegefall.
»Carsten, komm, wir fahren zu Iris. Die bringt dich wieder in Ordnung!«
Ich kann mir jetzt keine Gedanken darüber machen, dass Carsten nur seinen alten Jogginganzug trägt. Ich helfe ihm beim Aufstehen und stütze ihn bis zum Auto. Das Einsteigen ist für meinen angeschossenen Cowboy genauso eine Tortur wie das Aussteigen. Als ich ihn endlich bei Iris abgegeben habe, setze ich mich ins Wartezimmer. Bestimmt wird alles wieder gut. Gleich wird Carsten aus dem Behandlungszimmer steppen.
Hoffentlich! Ich sitze im schmalen Flur der Physio-Praxis im Wartebereich. Hoffentlich hat Iris die richtige Therapie zur Hand. Ich will, dass Carsten gesund wird. Bitte, Iris, bete ich im Stillen. Ich wollte doch nie im Leben einen Partner pflegen! Jeder meiner Verflossenen bekam bei typisch männlichem Imponiergehabe wie zu schnellem Autofahren, leichtsinnigen Extremsportarten oder stark hypochondrischem Verhalten sofort den Satz »Pass bloß auf, ich werde dich nicht im Rollstuhl schieben!« von mir um die Ohren gehauen.
Dass so etwas fies ist, ist mir klar. Aber der Versuch der Umsetzung meiner katholischen Erziehung zu aufopferungsvoller und selbstloser Nächstenliebe war bereits bei mehreren männlichen Versuchspersonen kläglich gescheitert. Vor allem bei Flo. Mit ihm durfte ich nicht einmal über Krankheiten sprechen, sonst konnte es passieren, dass er hyperventilierte und anschließend in Ohnmacht fiel. Bei Gesprächen über Gebrechen, Seuchen und Pandemien stellte er sich sofort vor, dass ihn dieser Schicksalsschlag ereilen könnte, glich die Symptome gedanklich ab, hörte in sich hinein und
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