Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
zack, weg war er.
Als wir vor Jahren beide ein starkes Antibiotikum einnehmen mussten, las er den Beipackzettel, fiel nach der Ersteinnahme beim anschließenden Umtrunk mit Freunden mit dem Gesicht auf den Tisch und war ohnmächtig. Daraufhin schwärzte ich alle Hinweise auf Nebenwirkungen bei unseren Medikamenten. Wenn Flo nicht wusste, was er theoretisch bekommen könnte, bekam er es auch nicht.
Manchmal lief er tagelang mit seinem Blutdruckmessgerät am und seinem Gesundheitsbuch unterm Arm miesepetrig durch die Wohnung, nur weil er im Fernsehen mal wieder eine Reportage über Schlaganfälle oder die Cholera gesehen hatte. Wenn ich mir vorstelle, sein Blutdruckgerät wäre unbemerkt kaputtgegangen und er hätte auf dem Display weder Puls noch Blutdruck ablesen können – Flo hätte geglaubt, er wäre tot.
Männer und Krankheiten. Man sagt, Männer würden eine Geburt wegen der Schmerzen niemals durchstehen. Ich denke, die würden nicht mal die Defloration überleben.
»Tati?« Iris steht vor mir und sieht bedrückt aus.
»Was ist los? Was Schlimmes?«
»Genau kann ich’s dir nicht sagen. Aber ich gehe da nicht ran. Carsten kann sich ja nicht einmal gerade hinlegen. Wenn das ’ne Bandscheibe ist, bringt mein Einsatz mehr Schaden als Nutzen!«
»Wie Bandscheibe?«
»Ihr müsst zu einem Neurologen und prüfen lassen, ob Carsten eventuell einen Bandscheibenvorfall hat!«
»Geht das wieder weg oder bleibt das für immer?«
»Nun mach dich doch nicht gleich verrückt. Warte erst mal ab, was der Arzt sagt!«
Diese vage Diagnose trifft mich wie ein Hammer. Carsten schlurft blass und gebeugt ins Wartezimmer. Ich kann ihm ansehen, dass er nicht nur mit den Schmerzen zu kämpfen hat, sondern dass ihn diese Diagnose zutiefst erschüttert. Ausgerechnet bei Carsten, meiner großen Liebe, stellt mich das Leben vor die Krankenpflege-Bewährungsprobe. Ausgerechnet bei dem perfektesten aller meiner Männer schlägt das Schicksal erbarmungslos zu? Wie fies ist das denn! Was soll ich nur machen?
Mama brauche ich gar nicht zu fragen. Die Antwort kenne ich schon: »Tati, sei froh, dass du einen Mann abbekommen hast. Du musst dich um ihn kümmern!«
Das Argument ist falsch, Mama, antworte ich im Geiste. Nicht weil ich ihn abbekommen habe, sondern weil … ich ihn eventuell behalten will. Vielleicht führt meine Aufopferung bei ihm sogar zu großer Dankbarkeit und – selbst wenn ich von Faltenbildung und Altersdemenz heimgesucht werden sollte – endlich zu einem Heiratsantrag?
Fast hysterisch frage ich: »Iris, kennst du einen Neurologen in Potsdam?«
»Fahrt zu Schulz, der sitzt in der Großbeerenstraße. Ich kündige euch telefonisch an!«
In einem Anfall von Verzweiflung und Dankbarkeit drücke ich meiner Lieblingstherapeutin einen Schmatz auf die Wange. Sie klopft mir liebevoll auf den Rücken und versichert uns ihrer ständigen Einsatzbereitschaft im Notfall.
»Macht mal. Weißt ja, kannst immer anrufen!«
Dann biete ich Carsten meine Schulter als Stütze. Gemeinsam schleppen wir uns zum Auto, um schnellstmöglich zum Neurologen zu kommen. Als ich den blassen und der Kommunikation unfähigen Carsten endlich auf den Beifahrersitz geschnallt habe und erschöpft losfahre, drehen sich meine Gedanken ausschließlich um das eine böse Wort: BANDSCHEIBENVORFALL! Ich assoziiere es mit krummen, alten Menschen, die ihre Einkäufe mit einem Rollator nach Hause schieben. Ich komme zu der Erkenntnis, dass Carsten zwar vom Alter her jünger ist, aber körperlich viel älter sein muss als ich, denn sein kranker Rücken ist nicht der erste Hinweis auf altersbedingte Verfallserscheinungen. Schon als wir nach seinem Geburtstag bei unserem Freund und Optiker Bernhard waren, hätte ich stutzig werden müssen.
Schlecht sehen macht schärfer
Wir besuchten Bernhard am Tag nach Carstens Geburtstagsparty. Chica weckte mich. Sie krächzte heiser und stupste mich mit ihrem Wuschelköpfchen an die Wange, tappste schniefend eine Runde um mich herum und quäkte erneut, direkt neben meinem Ohr. Während ich in meiner Jugend nach durchzechten Nächten am nächsten Morgen wie ein Flummi aus dem Bett gefedert bin, brauche ich nun nach der vergleichsweise alkoholarmen Feier gefühlte drei Jahre zur Rekonvaleszenz.
Mein Kopf dröhnte. Die Augenlider waren schwer. Ich öffnete sie nur einen Spalt. Neben mir im Bett lag – niemand. Soweit ich mich erinnern konnte, hatten Carsten und ich – trotz Party- und Geburtstagsstimmung – beschlossen,
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