Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
kompromissbereit, liebestoll und zweisamkeitssüchtig, dass ich die Anforderungen an den Mann meiner Träume auf ein Minimum reduziert hatte. Zum Schluss hätte ich alles genommen, was Puls hat.
Carsten hatte kaum noch Puls, als er bei unserem ersten Date in dünnen, aber schicken Lederschuhen bei minus dreiundzwanzig Grad in der Bleibtreustraße auf mich wartete. Schon als ich ihn auf der Parkplatzsuche im Vorbeifahren zitternd vor einem beleuchteten Schaufenster stehend entdeckte und er mit eingefrorenem Lächeln versuchte, einen Blick in mein Auto zu erhaschen, wusste ich: Das könnte ER sein, der Mann, nach dem ich so lange gesucht hatte; der Mann, der immer saubere Socken hat und einen eigenen Fernseher und eine Traumprinzenkrone. Mein Anfangsverdacht bestätigte sich nicht nur, er wurde sogar übertroffen: Carsten kocht wie der dreisternige Eckart Witzigmann; er liebt wie Giacomo Casanova; er ist kommunikativ, und er ist an Kultur und Literatur interessiert. Ein Mann, der liest! Ein Wunder!
Wenn ich Alexandra von meinem Weltwunder vorschwärmte, meinte sie, ich würde wunderlich. Weil nicht sein durfte, was nicht sein konnte. Unter dem Motto: »Ich lasse mir meine Vorurteile doch nicht durch die Realität versauen!«, suchte sie das Haar in der Suppe, den Krümel im Bett, also den Haken an der Sache. Für Alexandra muss Liebe wehtun. Wenn sie einen Partner hat, verzehrt sie sich nach dem, wie sie es nennt, normalen Beziehungsalltag mit Zank und Streit. Das klappt bei Carsten und mir so gar nicht. Wir sind so oft einer Meinung, dass wir chinesische Kommunisten sein könnten. Wenn Alice Schwarzer Carsten kennenlernen dürfte, würde sie sofort ihren Kampf für die Emanzipation der Frau einstellen.
***
Gerade als mir bei der Erinnerung an den strahlenden, starken und außergewöhnlichen Mann an meiner Seite so richtig warm ums Herz wird, holt mich ein leises Stöhnen meines indisponierten Traumprinzen zurück in das immer noch gut gefüllte Wartezimmer unseres Neurologen. Carsten versucht gerade, sich auf dem Stuhl neben mir zu platzieren. Der Anblick dieses Invaliden mit seinen schwerfälligen Bewegungen, dem schmerzverzerrten Gesicht und dem auf dem Kopf abgelegten linken Arm, der sich gerade mit einem von lautem, wehleidigem Aufstöhnen begleiteten finalen Plumpser auf den Stuhl fallen lässt, steht in krassem Gegensatz zu meinen Erinnerungen, die nicht mal drei Jahre zurückliegen. Ich lasse meinen Blick durchs Wartezimmer schweifen. Die überwiegend männlichen Patienten, die entweder gequält vor sich hinstarren oder extrem gelangweilt in Zeitschriften blättern, scheinen alle älter zu sein als wir. Die meisten von ihnen sind genauso blass und augenschattig wie Carsten. Sieht so eine Kolonie kranker Erdmännchen aus? So zusammengesunken, krumm und miesepetrig? Ist es ungerecht und gemein von mir, wenn ich kranke Erdmännchen nicht in meiner Nähe ertragen kann? Ich greife vorsichtig nach Carstens Hand und ernte einen so morbiden, aber dabei dankbaren Blick, dass mir Tränen der Rührung und der Liebe in die Augen steigen. Verschämt schniefe ich ein wenig vor mich hin, und ich nehme mir ganz fest vor, mich an seinen derzeitigen Anblick zu gewöhnen.
Nach zwei Stunden wird Carsten endlich aufgerufen. Mein Hintern kribbelt von der Rumsitzerei, und bevor ich vor lauter Angst, Wut und Ungeduld alle jammergesichtigen Erdmännchen im Wartezimmer anschreie, konzentriere ich mich lieber wieder auf die bunten Zeitungen auf meinem Schoß. Ich fühle mich in der anklagenden Stille des Wartezimmers immer unwohler und bin froh, als Carsten schon nach fünf Minuten wieder aus dem Behandlungszimmer kommt.
»Und? Was sagt der Arzt?« Ich springe auf und laufe ihm entgegen.
»Wird wohl die Bandscheibe sein!«, sagt Carsten schnappatmig und mit glasigem Blick.
»Wir müssen zur Absicherung der Diagnose einen MRT-Termin machen und Schmerzmittel aus der Apotheke holen.« Danach sagt er gar nichts mehr. Total abwesend lässt er sich von mir ins Auto schieben. Wir fahren zum Oberlinhaus in die Röntgenabteilung. Ich springe aus dem Wagen, erspare meinem Liebsten neuerliche Schmerzen und gehe allein zur Anmeldung.
»Guten Tag!«, begrüße ich die Schwester so freundlich wie möglich. »Ich hätte gern schnellstmöglich einen MRT-Termin für meinen Mann. Er hat unglaubliche Schmerzen, wahrscheinlich Bandscheibe.«
Die terminverantwortliche Krankenschwester ist eine unscheinbare Frau und erinnert mich mit ihrer blassen,
Weitere Kostenlose Bücher