Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
durchscheinenden Haut und den Augenschatten an Alexandra. Sie lächelt professionell gekünstelt und mit viel Zahnfleisch.
»Na, dann müssen wir mal gucken, was sich da machen lässt«, sagt sie, sich ihrer Macht vollständig bewusst, und blättert in einem großen Buch. Die Schwester kommt sich wichtig vor und blättert und blättert, und ich spüre leichte Aggressionen in mir aufsteigen.
»In vierzehn Tagen hätte ich was!«
»Aber mein Mann hat Schmerzen, die er auf keinen Fall so lange ertragen kann.«
»Tut mir leid!« Humorlos klappt sie ihr Buch zu.
Gesund ist nur, wer nicht ausreichend untersucht ist
Abends, nachdem ich Carsten fast sitzend gebettet und mit den aus der Apotheke besorgten Schmerzmitteln versorgt habe, gehe ich zur Entspannung in meine Kuschelküche. Ich brauche jetzt unbedingt ein wenig Abstand von den Ereignissen des Tages, ich fühle mich schlapp, und in meinem Kopf wirbeln die unterschiedlichsten Bilder durcheinander: ich als Krankenschwester mit Häubchen und Samariterkoffer, Erdmännchen am Tropf und ein Bräutigam im Rollstuhl.
Beim Betreten meiner rot-orangen, nur von einer Stehlampe beleuchteten Wohnküche macht sich sofort ein wohliges Gefühl in mir breit. Die gelbgemusterten Gardinen an der Balkontür haben einen dicken, vom Wind geblähten Bauch und wehen mir freundlich entgegen. Nach zwei tief inhalierten Zigaretten und einem gedanklichen Resümee des Tages sehe ich das Positive an meiner Situation: Wenigstens bin ich NICHT krank. Und das ist gar nicht selbstverständlich, denn zwei Jahre zuvor hatte ich bereits gedacht, mein Immunsystem hätte mich im Stich gelassen.
***
Als ich Carsten kennenlernte, plagte mich, genau wie meine Katze Chica, monatelang permanenter Schnupfen. Unsere Nasen trieften um die Wette. Ich fühlte mich zudem schlapp und unerotisch. Die ständige Heiserkeit nervte vor allem bei meinen Comedy-Vorstellungen. Wenn ich mein Lieblingslied »Mach mir den Tiescher!« sang, klang das nicht lüstern und verrucht, sondern eher wie Chicas klägliches Miauen, wenn sie um etwas bettelte. Ich rannte von einem Arzt zum nächsten, inhalierte, lutschte Halstabletten, machte Nasenspülungen – nichts half. Chica bekam von Tierarzt Doktor Leiche ein Antibiotikum verschrieben, welches ihr auch nur wenige Tage Erleichterung verschaffte. Vielleicht steckten wir uns gegenseitig immer wieder an? Konnte das sein? Ich recherchierte bei Netzdoktoren und in Patientenforen und stieß dann auf meine Krankheit: Chlamydien! Das musste es sein, war ich mir sicher.
Chlamydien sind Bakterien, die eine Vielzahl von Lebewesen infizieren können, Menschen wie Katzen. Sie lösen Erkrankungen der Schleimhäute im Augen-, Atemwegs- und Genitalbereich mit teilweise schwerwiegenden Folgen wie Erblindung oder Unfruchtbarkeit aus.
Mit meinen neuen Erkenntnissen eilte ich umgehend zu Doktor Neubauer, meinem Chlamydien-Spezialisten und erläuterte meine Diagnose. Er ließ mir Blut abnehmen, stellte gezielte Fragen zu meinem Rücken und bestellte mich eine Woche später noch einmal zu sich. Ich weiß noch, wie hoffnungsfroh ich in seinem Wartezimmer saß. Ich war mir sicher, dass nach monatelanger Quälerei endlich eine Lösung für mich gefunden werden würde! Ich wurde ins Behandlungszimmer gerufen. Ich setzte mich auf den Stuhl gegenüber von Neubauers Schreibtisch. Der Doktor betrat den Raum, würdigte mich keines Blickes und schaute starr auf seinen Computerbildschirm. Erwartungsvoll sah ich ihn an und sagte kein Wort. Er unterbrach ruckartig seine Schweigeminute, tippte auf der Tastatur, las irgendetwas, tippte noch mal und sagte dann: »Tja!« Das Lächeln schien ihm schwerzufallen. Seine Augen blickten ernst. Ein Angstschauer lief mir über den Rücken. »Herr Neubauer, was ist los? Muss ich sterben? Bekomme ich diese blöde Erkältung wieder in den Griff? Chronisch etwa? Was sagen die Chlamydien?«, sprudelte es aus mir heraus. Neubauer kam um den Schreibtisch gelaufen, griff mitleidig meine Hand, und mir rutschte das Herz in die Hose.
»Frau Meissner«, sagte er mit ruhiger, sonorer Stimme. »Ich konnte keine Chlamydien feststellen. Auch sonst erscheinen Sie mir ganz fit!« Dann machte er eine Kunstpause, holte tief Luft und fuhr fort: »Ich glaube, Sie brauchen nur ein wenig Ruhe!«
Ich war fassungslos. Wie paralysiert stand ich auf und verließ die Praxis. Mein Chlamydien-Fachmann hatte mir soeben mitgeteilt, dass ich psychosomatisch war. Also nicht ganz sauber im Kopf. Ich?
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