Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
Ruhe? Ha! Ich hasste Ruhe! Ich liebte die Unruhe. Nichtstun war für mich ein Gräuel. Für mich gab es nur eine Zeit, die, wenn man sie nicht nutzte, unwiederbringlich verloren war. Ich brauchte Anstrengung und Abwechslung und wollte auch nie mildernde Umstände, nur weil ich eine Frau bin. Ich hatte meine Tochter neben der Arbeit allein großgezogen und bin stolz auf meine Unabhängigkeit und meinen Tatendrang. Was verlangte Neubauer da von mir? Sollte ich jetzt nur noch im Sessel rumsitzen, stricken und mich langweilen? Als ich Carsten davon berichtete, platzte ich fast vor Wut. Er lachte.
»Meine Strickliesel. Du bist so lustig, wenn du wütend wirst!«»Liebst du mich trotzdem, auch wenn ich ein wenig hypochondrisch bin?«, fragte ich sicherheitshalber nach.
»Natürlich, jede einzelne deiner Chlamydien liebe ich!«
Seitdem traue ich mich gar nicht mehr zu sagen, wenn es bei mir irgendwo zieht oder kneift. Sofort erreicht mich Carstens Spott. Wenn mir mein Ohr wehtut, vermutet Carsten Ohr-Chlamydien und bei entzündetem Zahnfleisch Zahnfleisch-Chlamydien. Woran Chica leidet, konnte bis heute nicht geklärt werden. Ich tippe auf Katzenallergie. Mir half damals ein wenig Ruhe und die Infusion eines »Vitamincocktails«.
***
So ein intravenöser Vitamincocktail ist eine tolle Sache. Er hilft mir nicht nur zur Stärkung des Immunsystems, sondern verhilft mir zu größerer körperlicher und geistiger Belastbarkeit. Was mich gleich nach der ersten Infusion besonders begeistert hatte, war der Umstand, dass ich danach mehr Lust auf Sex hatte. Kurz nach Carstens vierzigstem Geburtstag Ende Februar wurde ich bei meiner letzten Infusion mit unangenehmen Themen konfrontiert.
»Na, Frau Meissner, mal wieder einen Energieschub abholen?« Schwester Inge strahlte mich an und bat mich an meinen Stammplatz am Fenster. Dort saß bereits – ich konnte es nicht glauben – Freundin Doro.
»Na, toll, jetzt trifft man seine Freundinnen nicht mehr in der Bar, sondern beim Arzt!«, rief sie mir entgegen und grinste breit.
»Was soll das denn heißen?«
»Dass wir das Leben nur noch mit ärztlicher Unterstützung meistern!«
Ich erstarrte innerlich. Ich verstand nicht, wie sie über solche Erkenntnisse lachen konnte. Während Schwester Inge meine Infusion vorbereitete und mir die Nadel in die Armbeuge schob, berichtete mir Doro von allen möglichen Krankheiten, an denen unser weitläufiger Bekanntenkreis gerade litt.
»Du weißt doch, die … na sag schon, die, deren Mann Bandscheibe hat. Na jedenfalls die muss jetzt zum Brustscreening. Matti ist wegen seines Knies in der Reha, und Paul kann heute Abend nicht zur Party kommen, weil er morgen früh raus muss. Ist das nicht ulkig?« Doro gackerte für eine Arztpraxis viel zu laut und pustete sich ihren kastanienbraunen Pony aus dem Gesicht. Eigentlich hätte ich viel lieber von meinem aufregenden Erlebnis bei Pfeiffer-Plönsgen berichtet, aber Doro war noch nicht fertig. Nach einer kleinen Kunstpause eröffnete sie mir: »Jetzt kommt’s, Tati. Stell dir mal vor: Gabi ist in den Wechseljahren!«
Ich schrak zusammen und schaute peinlich berührt zu Schwes-ter Inge, die nur einen Meter von uns entfernt am PC saß.
»Nun tu mal nicht so! Gabi macht daraus ja auch kein Geheimnis.«
»Ich kenne Gabi nicht so gut, als dass ich mir darüber ein Urteil erlauben könnte, und eigentlich will ich mich mit dem Thema gar nicht befassen.«
Doro jedoch fand, dass Hitzewallungen, Schlafstörungen und Depressionen ein wichtiges Thema waren. »Tati, weil wir vorbereitet sein müssen, vielleicht sind wir ja auch schon perimenopausal. Also in der Vorbereitungsphase zur Menopause!«
Ich versuchte, Doro mit einem Scherz zu unterbrechen.
»›Meno‹ bedeutet ja so viel wie ›wenig‹, also weniger Haare, weniger Gesundheit und weniger Sex!«
Doro kreischte laut auf und gickelte: »Dann kann ich noch nicht in der Menopause sein. Ich habe nicht weniger Sex, ich habe gar keinen mehr!«
Schwester Inge konnte jetzt nicht weiter so tun, als hörte sie nicht zu. Sie begann, laut zu lachen, und konnte damit auch nicht aufhören, weil Doro nachlegte: »Ich habe schon so lange keinen Sex gehabt! Wenn sich jetzt wirklich mal ein Mann für mich opfern und sich seine Kleider vom Leib reißen würde, dann käme mir als Erstes in den Sinn, auf allen Vieren durchs Zimmer zu rutschen und seine Klamotten nach Bunt- und Weißwäsche zu sortieren.«
Schwester Inge klagte kichernd: »Ich habe auch keinen Sex
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