Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
und schickt mir eine Liedzeile von Mike Krüger. »Verdammt, ich schieb dich, ich schieb dich nicht!«, singe ich innerlich und kämpfe gegen mein Paternoster-Syndrom. Ich habe das Gefühl, dass in meiner rechen Hirnhälfte Seifenblasen platzen, während die linke gleichzeitig den Ist-Zustand analysiert: Noch habe ich drei Monate Zeit bis zur Hochzeit. Aber selbst wenn ich meine nur marginal vorhandenen Pflegekompetenzen aktiviere, kann es sein, dass Carsten nicht rechtzeitig gesund wird.
»Heile, heile Gänsje, es is bald widder gut. Es Kätzje hat e Schwänzje, es is bald widder gut. Heile, heile Mausespeck, bis zur Hochzeit is alles weg.« Während ich Mamas Lied, das sie immer für mich sang, wenn ich als Kind krank war, vor mich hin summe, streichle ich Carstens rechte Hand, mit der er sich bei mir abstützt. Sagen kann ich nichts. Ich bin zu aufgewühlt. Verdammter Mist, fluche ich innerlich, den Tränen nahe. Bis heute war ich davon ausgegangen, dass mir mit Carsten so etwas nicht passieren könnte. Carsten wurde nie krank, jammerte und klagte nicht. Das fand ich großartig, denn mir fehlt der sonst so weit verbreitete weibliche Samariterkomplex.
Im Gegensatz zu anderen Frauen fühle ich mich nicht besser, wenn Menschen auf meine Hilfe angewiesen sind. Entweder leide ich zu sehr mit, oder mir fehlt das Pflege-Gen. Der einzige Vorteil eines kranken Lebensabschnittsgefährten hatte für mich bisher ausschließlich darin bestanden, die Vorherrschaft über die Fernbedienung zu gewinnen und in aller Ruhe »Nur die Liebe zählt« und »GZSZ« gucken zu können. Eine Beziehungsfortsetzung unter Pflegebedingungen hätte ich mir bei keinem meiner Ex-Lebensabschnittsgefährten vorstellen können. Gut, dass keiner meiner ehemaligen LAGs ernsthaft krank oder gar pflegebedürftig geworden war.
Und jetzt sitzt sogar ein doppelter Bandscheibenvorfall neben mir im Auto.
Auf der Heimfahrt über rutschiges Laub auf den Straßen klatschen Regentropfen im Rhythmus meines aufgebrachten Herzschlages gegen die Frontscheibe. Carsten atmet hörbar dagegen an, bevor er, den Blick in Fahrtrichtung, mit heiserer Stimme sagt: »Wir müssen noch bei der Apotheke vorbei und einen Termin bei Iris holen. Der Doktor hat mir Schmerzmittel und Physiotherapie verschrieben.«
»Ja, Liebling, machen wir.« Meine Stimme klingt, entgegen meinen Bemühungen, sie liebe- und verständnisvoll wirken zu lassen, so monoton und heiser wie seine. Carsten, der seinen linken Arm, wie immer in den letzten Wochen, auf dem Kopf abgelegt hat, versucht, mich mit seiner rechten Hand zu berühren, schafft es aber lediglich, mir kurz auf den Oberschenkel zu tippen.
»Tati, es tut mir so leid, dass ich dir so viel Arbeit mache, dass ich mich nicht um dich kümmern, ja nicht einmal mir selber helfen kann!«
Die tapsig-liebevolle Geste und das eben Gesagte erschüttern mich. Ein Gefühlswust aus Zukunftsangst, Mitleid und Mütterlichkeit befällt mich – heftig und unerwartet. Innerhalb einer Sekunde bin ich zu allem bereit.
»Das schaffen wir schon!«, krächze ich weinerlich und sehe mich mit Schwesternhäubchen und Lacklederkittel bekleidet eifrig um sein Krankenlager wuseln. Ja, ich will ihm helfen und alles dafür tun, dass er bald wieder gesund wird, denn mir fällt siedend heiß ein, dass mein gequälter Patient, der sich im Moment der schwersten Krankheit seines Lebens Sorgen macht, dass er sich nicht um mich kümmern kann, mir im Moment meiner schwersten Krankheit gezeigt hat, was liebevolle Fürsorge bedeutet. Er hatte mich aufopferungsvoll betreut, bekocht und umsorgt, als ich wegen einer Operation ins Potsdamer Ernst von Bergmann Klinikum eingeliefert wurde. Deswegen und wegen unserer Hochzeit muss ich ihm jetzt auch zur Seite stehen. Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass Carsten auf das Krankenhaus-Essen verzichten wird, wenn ich Selbstgekochtes mitbringe.
***
Es war im Juli des vergangenen Jahres gewesen, als meine Frauenärztin bei einer Untersuchung den Monitor mit dem Ultraschallbild meines Unterleibes zu mir drehte, auf einen großen weißen und runden Fleck deutete und zu mir sagte: »Frau Meissner, das muss weg!« Das Ausmaß der Angelegenheit begriff ich allerdings erst, als sie mit dem Krankenhaus telefonierte und für mich einen OP-Termin für die kommende Woche vereinbarte.
»Wenn Sie so schnell einen Termin vereinbaren«, fragte ich Frau Doktor Ziesche, »dann habe ich wohl Krebs?«
»Um das auszuschließen, Frau Meissner, lassen
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