Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
ist Carstens – mich eben noch zu Tränen rührende – Hilflosigkeit einer renitenten Aufsässigkeit gewichen. Er lässt sich nicht ins Bett schicken und guckt mich grimmig an. Vielleicht fühlt er sich genauso unnütz wie mein entfernter Eierstock und deshalb schlecht. Aber muss mein blasser und ausgehungerter Cowboy mit seiner doppelten Bandscheibe deswegen wie ein angeschossenes Erdmännchen an seinem Schreibtisch sitzen und so tun, als ob er arbeiten könnte? Er legt mit theatralischer Geste den linken Unterarm auf den Kopf und bedient einhändig Maus und Tastatur.
»Was machst du da? Muss das denn sein?«
»Ja, ich bestelle mir jetzt einen richtigen Bürostuhl, der auf die Benutzung am Schreibtisch optimiert und höhenverstellbar ist. Außerdem brauche ich ein Board, um den Bildschirm auf Augenhöhe stellen zu können. Das muss jetzt alles rückenfreundlich werden.«
Ich erinnere mich an Reportagen über ältere Menschen, deren Wohnungen beim Auftreten von krankheitsbedingten Einschränkungen komplett altersgerecht umgeräumt werden, und ich stelle mir Carstens Arbeitszimmer mit Rollator in der Ecke, elektrischem Krankenbett unterm Fenster und neben dem Bett angebrachter Klingel vor, mit der ich im Fünf-Minuten-Takt aus meiner Wohnung nach oben geklingelt werde. Warum kann er sich nicht einfach hinlegen und ausruhen? Der Enthusiasmus über meine Krankenschwestern-Rolle löst sich in Luft auf. Ich kann mit der Ablehnung meiner mütterlichen Fürsorge nicht umgehen und entschließe mich spontan, die Prioritäten zu ändern und mich endlich wieder meiner eigenen Arbeit zu widmen.
»Kann ich dich allein lassen?« Es fällt mir schwer, nicht genervt zu klingen. Von meinem Pflegefall kommt ein knappes »Ja!«, und ich verschwinde beleidigt.
Kaum bin ich in meinem Arbeitszimmer, klingelt das Telefon. Mama ist dran und erkundigt sich nach Carstens Gesundheitszustand.
»Tati, du musst dich um ihn kümmern, sonst verlässt er dich. Das ist meine größte Sorge. Er ist doch noch bei dir?«
»Mama, im Moment kann Carsten gar nicht weglaufen. Du weißt doch, er ist krank.«
»Du solltest ihn mit Franzbranntwein einreiben. Das hilft!«
»Meinst du, Franzbranntwein hilft bei doppeltem Bandscheibenvorfall?«, reagiere ich zynisch auf ihren Vorschlag.
»Du trägst jetzt eine große Verantwortung. Sag Carsten alles Gute von Papa und mir, ja?«
Ich verabschiede mich von Mama und lege auf. Ich bin wütend. Am liebsten hätte ich meinen Frust laut herausgeschrien. Wieso muss ich eigentlich dankbar sein, dass Carsten bei mir bleibt? Warum ist es nicht umgekehrt? So wie sich der Patient heute verhalten hat, muss ich mich von meiner Lobhudelei »ein Mann wie Casanova und Witzigmann in einem« distanzieren. Carsten ist nicht nur maulig und krank, sondern leider auch nur wie ein normaler Mann. So!
Wenn Männer Bahnhof verstehen
Nach dem Telefongespräch mit meiner Mutter erinnere ich mich plötzlich an eine Situation vier Wochen vor der Premie-re meines Soloprogramms. Ich war zu dieser Zeit innerlich total aufgewühlt, ich hatte unter anderem panische Angst, im letzten Moment von irgendeiner Krankheit heimgesucht zu werden. Früher hatte ich ja gedacht, dass ich vor Auftritten irgendwann mal routinierter und ruhiger werden würde, aber das Gegenteil war der Fall.
Als ich das allererste Mal in meinem Leben auf einer öffentlichen Bühne stand und mit meiner Ballettgruppe eine Polka tanzte, saßen meine Eltern und Großeltern im Publikum, und mir schlug das Herz bis zum Hals. Vor meiner ersten Kabarettpremiere litt ich unter Blasenentzündung, bei der Pilotsendung von »Tele-Bingo« für das MDR-Fernsehen und bei einem Casting für RTL unter Brechdurchfall. Was würde dieses Mal passieren, fragte ich mich, wenn ich zum ersten Mal im Leben allein auf der Bühne stand? Stimmversagen? Blackout? Blasenentzündung UND Brechdurchfall? Alles war möglich. Um ich mich am Tag der Premiere möglichst sicher zu fühlen und damit das Risiko kurzfristig auftretender Krankheitsattacken zu vermindern, hatte ich Carsten gebeten, der erste Zuschauer meiner neuen Show zu sein – noch vor Gisi. Ich wollte ihm das Einstudierte in meiner zum Probenraum umfunktionierten Küche an diesem Abend vorführen.
Am Vormittag rekapitulierte ich das Gelernte noch einmal. Die Balkontür stand offen, die Frühlingssonne bemühte sich nach Kräften um ein strahlendes Aussehen und ich mich um einen sauberen Gesang. Mit dem Rücken zu meiner Küchenzeile
Weitere Kostenlose Bücher