Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
an diesem Tag einen Termin bei unserer gemeinsamen Potsdamer Frauenärztin Frau Doktor Ziesche hatte. Vorher wollte sie bei mir vorbeikommen, um mir die Zeit bis zu Carstens MRT-Termin mit Quatschen, Rauchen und Kaffeetrinken zu verkürzen.
Doch als ich Alexandra die Tür öffnete und sie freudig begrüßte, bemerkte ich, wie schlecht meine Schwester aussah. Schwarze Augenschatten schimmerten durch ihr Make-up. Wahrscheinlich war sie vom frühen Aufstehen erschöpft, dachte ich, normalerweise hatte sie am liebsten Spätschicht.
»Aluchen, bist du müde?«, fragte ich.
Sie verneinte kraftlos, stellte ihre riesengroße schwarze Handtasche auf den Stuhl, holte die mit dampfendem Kaffee gefüllten Tassen an den Tisch und setzte sich aufs Sofa.
»Ich fühle mich schlapp«, sagte Alexandra traurig. Ich setzte mich neben sie und nahm meine beängstigend dünne Schwester tröstend in den Arm. Ihr Gesicht fühlte sich unnatürlich warm an.
»Hast du Fieber?«, fragte ich erschrocken.
Sie zuckte matt mit den Schultern. Ich holte das Fieberthermometer und schob es ihr rigoros und keinen Widerspruch duldend unter den Arm.
»Du hast wohl doch noch ein paar Pflegequalitäten entwickelt?«, fragte meine Schwester erstaunt. Das Thermometer piepte, sie zog es unter ihrem Arm hervor, schaute drauf und murmelte: »39,2 Grad!«
Sie riss die Augen weit auf. »Hoffentlich habe ich mir im Krankenhaus keine resistenten Bakterien eingefangen!«
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass du auch gefährdet bist!« Trotz des bedenklich hohen Fiebers wühlte Alexandra hektisch, fast wütend in ihrer überdimensional großen Handtasche, förderte eine Spraydose zutage und begann mein Sofa, auf dem sie gerade noch gesessen hatte, einzusprühen.
»Das ist Desinfektionsmittel. Wenn ich MRSA habe, na dann gute Nacht!«
»Masern? Du?«
»Nein, MRSA, das ist ein besonders aggressiver Staphylokokken-Stamm!«
»Was sollen die denn mit dir machen, diese Staphylo-schlagmichtot?«
»Die sind tödlich. Gegen die hilft auch kein Antibiotikum! Nichts.«
»Ach du Schreck. Und so was habt ihr auf eurer Station?«
»Natürlich nicht, das wäre ja schlimm!«
»Alu, mach mich nicht verrückt! Du gehst gleich zu Frau Doktor Ziesche, die wird dir sagen, was du wirklich hast!«
Ich gab Alexandra eine Tablette gegen das Fieber, die sie ohne Widerrede schluckte. Gegen Mittag machte sie sich auf den Weg zu Frau Doktor Ziesche mit dem Versprechen, mich gleich anzurufen, sobald sie wusste, was los war.
Ich blieb mit der schnorchelnden Chica, der Angst um meine Schwester und dem Wissen, diese nicht mit Carsten teilen zu können, in meiner Küche zurück.
***
Drei Tage später rief Alexandra zurück.
»Tati, ich bin’s. Alu!«
»Warum meldest du dich erst so spät? Wie geht es dir? Was sagt Frau Doktor?«
»Frau Doktor Ziesche hat eine Unterleibsentzündung diagnostiziert, und der Zahnarzt, bei dem ich eben auch noch war, eine Vereiterung des Kiefers!«
»Oh je! Woher hast du das denn alles?«
»Ich weiß es noch nicht. Frau Ziesche sagte, dass ich vielleicht zu viel gearbeitet und mich zu sehr aufgeregt habe und dass mein Körper jetzt nach einer Auszeit schreit!«
Ich fühlte meinen Puls, fasste mir an die Stirn und hörte in mich hinein. Trotz meines eigenen, pflegebedingten Erschöpfungszustandes schien mein Körper noch zu funktionieren.
»Und was hat das mit den Entzündungen zu tun?«
»Deshalb rufe ich ja so spät an, weil ich erst mit den ganzen Befunden zu meinem Hausarzt gehen und klären lassen wollte, was ich genau habe!«
»Was sagt der Hausarzt? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«
»Ich bin ein bisschen schlapp. Das Fieber hält sich zwar in Grenzen, aber nachdem er alle anderen Ursachen ausschließen konnte, hat mir mein Hausarzt gesagt, dass dieses andauernde Fieber ein massiver Hinweis auf meine kranke Seele wäre, und dann hat er mich zum Psychologen überwiesen.«
»Ach du Schreck!« Ich war sprachlos und hörte verblüfft zu, was mir meine Schwester zu erzählen hat. Der Zusammenbruch ihres Immunsystems hatte Alexandra so erschreckt, dass sie sich klaglos um einen Termin bemüht hatte. Früher hätte sie jeden Besuch einer psychologischen Praxis abgelehnt. Ich weiß noch, wie sie sich damals bei unserer Mutter beschwert hatte, weil ich ihr empfohlen hatte, professionelle Hilfe wegen ihrer Trennungskrisen in Anspruch zu nehmen.
»Stell dir mal vor, Mama«, hatte sie geschimpft, »Tatjana will mich zu einem
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