Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
Denkprozesses auf einmal ganz klar vor sich.
Ich weiß plötzlich, was zu tun ist, und kann »meinen Gärtnern« aus tiefstem Herzen danken.
Danke, Ronny, für deinen Witz und deine Gelassenheit! Ich freue mich beim Gedanken an Doro, die mir klargemacht hat, dass die Wechseljahre früher oder später jede Frau ereilen und dass sie dazu führen, dass wir aus hormonellen Gründen endlich wahr empfinden und entspannter sein können. Keine Pickel, kein Neid, kein Putzwahn und immer warme Füße. Und meiner Schwester danke ich für die Erkenntnis, dass ich mich selbst gut finden muss. Auf die Idee wäre ich vorher gar nicht gekommen, weil Mama immer gesagt hatte, dass man weder egoistisch noch eingebildet sein darf.
Noch vor kurzem, während eines Telefongesprächs, bei dem ich ihr von meinem Klassentreffen berichtete, fragte sie: »Sag mal, Tati, sieht Corinna immer noch so toll aus wie früher?«
»Ja, sie ist immer noch eine gut aussehende Frau!«, antwortete ich.
»Ich habe nie verstanden, dass du dir immer so viel schönere Freundinnen genommen hast!«
Ich war heute, wie zu meiner Schulzeit, etwas beleidigt über diese Aussage. Darum erwiderte ich vorsichtig: »Wir haben uns beim Klassentreffen alte Fotos angeschaut, und aus heutiger Sicht finde ich mich als Vierzehnjährige gar nicht so hässlich.«
»Warst du ja auch nicht, Kind. Aber das hätte ich dir doch nicht sagen können, sonst wärst du noch eingebildet geworden.«
Ja, Mama, bin ich aber nicht und darf mich trotzdem selber lieben. Nur dann bin ich auch für andere und vor allem für Carsten liebenswert.
Frau Doktor Ziesche verdanke ich die Erkenntnis, dass ich mich mit der Endlichkeit des eigenen Lebens abfinden und den sinnlosen Versuch aufgeben muss, zu leben, ohne zu altern. Denn wenn ich so weitermache, werde ich altern, ohne zu leben. »Alt!« Ich spreche das Wort vor mich hin, zum ersten Mal in den letzten Monaten ohne Aggressionen oder Angst. Natürlich bin ich zu alt, um noch für eine Jugendsportmannschaft anzutreten, zur Spargelkönigin gewählt zu werden oder auf den Ratgeberseiten von Teenie-Magazinen noch etwas zu lernen. Aber ich bin alt genug, mich über die Fragen an Doktor Sommer zu amüsieren und die wissenschaftlichen Welterklärungsversuche und Klimakatastrophen-Androhungen durch die Nutzung von normalen Glühbirnen nicht unbedacht anzunehmen. Zu alt für die wirklich wichtigen Dinge im Leben bin ich noch lange nicht.
Ich merke auf einmal, dass es darum geht, mich selbst von Jahr zu Jahr besser zu verstehen, weil ich mich schon sehr lange kenne, und ich empfinde es plötzlich nicht mehr als Schande, anders zu sein als andere.
Wenn ich also meine Eltern liebe, obwohl sie ein anderes Lebenskonzept als ich favorisieren, wird mir meine Mama auch verzeihen können, dass ich nicht heirate; dafür gebe ich ihr vielleicht recht, dass Sex ab einem bestimmten Alter nicht mehr ganz so wichtig ist. Plötzlich weiß ich, dass ich alles habe, um glücklich zu sein: Liebe in unbeschreiblichem, Kreativität in erfolgversprechendem und Erfolg im erträglichen Maß! Nur eins fehlte mir bisher: ein entspanntes Verhältnis im Umgang mit den Unsicherheiten des Lebens.
***
Heute, eine Woche vor dem ersten Advent, werde ich den reservierten Termin auf dem Standesamt persönlich absagen. Nach den Gesprächen mit Freunden, Verwandten und Frau Doktor Ziesche fügen sich meine verworrenen Gedanken der letzten Wochen zu einem harmonischen Bild. Ich nehme mir vor, jeden unnützen Gedanken über unabänderliche Tatsachen auszumerzen und meine Zeit nicht mit Erwartungshaltungen an mich und Carsten zu vergeuden. Und ich spüre, dass ich loslassen kann. Loslassen muss, weil nur ich selbst für mein persönliches Glück verantwortlich bin, und weder Mama noch Carsten oder sonst wer.
Ich genehmige mir eine Zigarette zu meinem Kaffee, stelle mir vor, wie ich mit Carsten um die Welt reise, Abenteuer bestehe oder stundenlang bei einer Flasche Wein und Kerzenlicht über unsere Liebe philosophiere. Warum habe ich im Leben eigentlich immer alles auf »später« verschoben? Wegen Mama, wegen der Arbeit und wegen der Karriere, wegen des knappen Ersparten, das ich zur Rentenvorsorge oder für schlechte Zeiten aufheben wollte, und wegen der Katze, die nicht lange allein bleiben kann.
»Chica!«, wecke ich das neben mir schlafende Wollknäuel und nehme es auf meinen Schoß. »Chica, wenn du stirbst, dann werde ich eine gaaaanz lange Weltreise machen.«
»Mäh«,
Weitere Kostenlose Bücher