Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
noch!«
»Wen?«, brülle ich gegen die Lautsprecher an.
»Na, Seppi, das Campingplatz-Maskottchen. Den gab’s schon, als wir noch Kinder waren.«
Während ich den köstlichen Tintenfisch auf meinem Teller bearbeite, steigt jener aus Plüsch von der Bühne und mischt sich unter die quietschenden Bambini. »Wehkomme zu die Baby-Dance«, kräht der DJ. Er hat keine Ahnung, wie treffend »wehkomme« klingt.
Er spielt ein Lied, das beginnt wie ein Militärmarsch, und die Kids singen dazu: »Chu Chu ua, chu chu ua«, und dann watscheln sie tapsig im Kreis, indem sie sich nach vorn beugen und den Hintern ausstrecken. Sie halten die Arme nach vorn, recken die Daumen, dann stampfen sie wieder auf. »Chu Chu ua, chu chu ua.«
Lena wippt im Takt von links nach rechts, zwischendurch schiebt sie sich ein Stück Pizza Rustica in den Mund. Es sieht so aus, als könne sie sogar rhythmisch kauen. »Chu Chu ua, chu chu ua, chu chu ua ua ua!«
Die Musik wird noch lauter. Laut ist lustig in Italien. Und sehr laut ist eben extrem lustig. Die Kids hopsen und toben zwischen den Animateuren umher, und ihre Eltern filmen das Treiben stolz mit ihren Handys.
Ich hatte wirklich mit allem gerechnet, was diesen Urlaub betrifft. Allerlei Ungeziefer in den Waschräumen, Ameisen-Straßen durch mein Bett, blutrünstige Moskitos, die durch den Wohnwagen schwirren. Dass ich mit deutschen Spießern um Schatten-Parkplätze würde streiten müssen. Alles einkalkuliert. Kein Problem. Aber ein singender, springender Tintenfisch fehlte auf meiner Liste der Horror-Visionen.
»Magst du noch was trinken?« Ich murmele meine Frage erschöpft vor mich hin.
»Was?!«
Mit der rechten Hand forme ich ein Glas und kippe es vor den Lippen.
»Mehr Wein«, schreit Lena.
Ein albernes italienisches Kinderlied wummert jetzt aus den Boxen. Ich verstehe kein Wort. Der Tintenfisch geht voran, und alle Kinder bilden eine Schlange hinter ihm. Während sie an den Tischen vorbeiziehen, reihen sich fröhlich Eltern und Rentner ein. »Ey, der Club-Tanz«, kreischt Lena und steht auf und klatscht mit den Händen über dem Kopf. Plötzlich beugt sie sich zu mir rüber und singt mir ihre deutsche Übersetzung ins Ohr: »… bis ich auch mal ein großer Schwimmer bin, so wie Tintenfisch Säää-ppi.«
Die Polonaise hat jetzt auch unseren Tisch erreicht. »Na los!«, ruft Lena. Ich breche vor Lachen fast zusammen und winke kopfschüttelnd ab, während Lena zum Seppi-Song davonwackelt.
Und da sitze ich also, vor einer Karaffe mit einem halben Liter säuerlichem Weißwein, und die Frau, die ich vor knapp fünf Wochen geheiratet habe, die bis vor ein paar Tagen noch abwechselnd von ihrem iPhone oder ihrem Blackberry verspannten Fernsehnasen schräge Show-Formate verkauft hat, meine Lena tanzt gerade hinter einem Tintenfisch her durch die apulische Nacht.
Mir war von Beginn an klar, dass dies alles ein Trip in ihre Vergangenheit werden würde, eine Art Entdeckungsreise zu den Untiefen einer Seele, die ich zu kennen glaubte. Aber das hier ist mehr als Nostalgie. In mir steigt ein Gefühl auf, als würde ich geradewegs per time warp statt in die Vergangenheit in die Zukunft katapultiert. Wenn ich Lenas Sehnsuchtsblick richtig deute, sieht sie uns schon mit unseren Kindern hinter Plüsch-Seppi herziehen. Ich höre eine biologische Uhr ticken wie den Zeitzünder einer alles verändernden Bombe.
Massimo kommt mit einer weiteren Weißwein-Karaffe auf mich zu. Ganz nüchtern wirkt er nicht mehr. Entweder taumelt er ganz leicht, oder es ist seine besonders lässige süditalienische Art zu gehen. »Permesso?« , fragt er, als er seinen Glaskrug auf unserem Tisch abstellt und vom Nachbartisch einen Stuhl ranzieht.
»Na klar«, sage ich und strecke meine Hand aus wie ein Platzanweiser.
Er hält mir eine Packung rote Marlboros hin.
»Danke.« Ich stecke mir eine an.
»Du tanzt nicht?«
»Muss mich erst mal akklimatisieren.« Ich lasse mich mit dem Rücken tiefer in den Alu-Stuhl fallen. Allmählich tut mir auch der Hintern weh von den Leichtmetall-Streben der Sitzfläche. »Na ja, und den Text vom Club-Tanz kann ich auch noch nicht.«
Massimo lacht. Er glaubt mir kein Wort. »Du warst noch nie auf einem Campingplatz, oder?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Schau dich an. Solche Klamotten tragen nicht mal unsere Bungalow-Gäste.«
»Okay. Fehlgriff, gebe ich zu. Aber ich hab auch kurze Hosen dabei. Kann ich dir morgen zeigen.«
»Hey, ihr zwei!« Lena plumpst schwungvoll auf
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