Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Gattin. Sie kommt ursprünglich aus Niedersachsen und ist in Sepiana hängen geblieben, und wenn ich Lena glauben darf, dann kriegt sie alle paar Wochen einen Gastronomen-Koller und droht, Sepiana und damit auch den armen Ercole zu verlassen.
Von der Pizza-Theke kommt er jetzt auf uns zugeschossen – mit der gleichen Albatros-Geste, wie ich sie bei Rezeptions-Massimo kennengelernt habe. Der sitzt zu Lenas großer Freude mit einem Glas Ramazzotti an der Bar.
»Können wir uns nach draußen setzen?«, flüstere ich. Es ist mehr ein Betteln. »Allein sein!«
»Lass uns kurz hallo sagen, okay?«
Massimo empfängt Lena mit einem fulminanten Doppel-Bussi. Seine Frisur sitzt 1a. Allerdings erkenne ich erst jetzt die tiefen Furchen, die Sonne und Wind Süditaliens in sein Gesicht gegraben haben. Lena schmiegt sich in seinen Arm. Sie sieht glücklich aus, wie jemand, der endlich angekommen ist. Seit wir zusammen sind, war sie nur noch ein einziges Mal in Sepiana, und zwar notgedrungen mit ihren Eltern, weil ich, statt wie geplant mit ihr in den Sommerurlaub zu fliegen, etwas kurzfristig zu einer Dienstreise aufgebrochen war.
»Magst ein Campari?«, fragt Ercole.
»Super gern. Was empfiehlt denn der Chefkoch heute?«
»Sepia a la Sepiana. Spezialität von da. Weißt du – ist das Dorf nach der Fisch benannt.«
»Ah verstehe, sehr schön.« Ich drehe mich zu Massimo: »Und du, hast du schon gegessen?«, frage ich, um Lena aus seiner Umklammerung zu lösen. Und auch weil mir der Magen inzwischen auf Höhe der Kniekehlen hängt. »Wir gehen raus auf die Terrasse.«
Er winkt dankend ab. »Sonst komm doch auf einen vino nach«, sage ich im Gehen.
Lena knufft mir lachend in die Seite. »Du mieser kleiner Heuchler!«
Auf dem Weg nach draußen hake ich sie unter. »Wieso? Ich komme jetzt so langsam in den Sepiana-Groove.« Na gut, ehrlicherweise hat mich der Campari fröhlich gemacht.
Auf der Terrasse ist es erstaunlich voll geworden. Der letzte freie Zweiertisch ist neben den Boxen, aus denen immer noch das Liedgut von Al Bano & damaliger Gattin säuselt. Best-of-Album, schätze ich mal.
Eine junge Kellnerin mit atemberaubender Lockenpracht und fester Zahnspange reicht uns die Speisekarte, bevor sie sich raschelnd daranmacht, mit Plastikklemmen eine weiße Papiertischdecke zu befestigen. Gute Idee eigentlich – wahrscheinlich hatte Ercole die Nase voll davon, dass gelangweilte Kinder seine Stofftischdecken bemalen.
RISTORANTE PICO BELLO ist in den braunen Kunstleder-Einband eingestanzt. Und ich muss sagen: Allmählich gefällt mir dieser Ercole wirklich. Was für ein großartiger Humor! Lena hat erzählt, dass er mehr als zehn Jahre lang in Deutschland gearbeitet hatte, erst in einer Reifenfabrik in Hanau, dann bei Opel in Rüsselsheim. Kein Wunder, dass er jetzt so ein seltsames Auto fährt. Auf jeden Fall muss er dort sein putziges Deutsch gelernt haben – vor allem auch dieses deutscheste aller Phantasie-Wörter: pico bello.
In dem Moment, als Ercole persönlich unsere Teller serviert, reißt die gedämpfte Al-Bano-&-Romina-Power-Endlosschleife abrupt ab, stattdessen trötet die gleiche Final-Countdown-Fanfare los, die mich schon in der Früh aufgescheucht hatte. Jetzt bin ich nicht minder erschreckt.
Unterhalb der Terrasse ist eine kleine Piazza aus Terracotta-Boden angelegt; eher ein Forum mit einer zweistufigen Tribüne. Und davor fällt mir jetzt auch die große Bühne auf, die notdürftig aus braunem Holz zusammengehämmert ist und mit einem Mal in grelles Scheinwerferlicht getaucht wird. Unter einer hölzernen Palme, die aussieht wie die Laubsäge-Arbeit eines ambitionierten Achtklässlers, sitzt der gleiche DJ, der schon heute Vormittag für den Strandterror verantwortlich war. Noch immer im selben neonorangen T-Shirt. Er reckt den linken Zeigefinger in die Luft, mit dem rechten fährt er von seinem Laptop die Fußball-Hymne »Waka Waka« ab, und in diesem Augenblick betritt ein Animateur in einem Tintenfischkostüm tänzelnd die Bühne. Er presst seine Tentakel so yogamäßig vor der Brust zusammen und lässt dann die Hüften kreisen wie Shakira in ihrem Musikvideo.
Vor der Bühne laufen jetzt ein paar Kinder zusammen und imitieren den Tintenfisch-Tanz. Die Musik ist ohrenbetäubend laut, lässt sich aber immer weiter steigern, wie der DJ sehr schnell unter Beweis stellt. Ich sehe Lena verängstigt an, meine Lippen formen ein What the fuck! ?
»Wie cool«, ruft sie, »den gibt’s immer
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