Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
»Junger Mann, ich glaube, ich habe Sie gründlich falsch eingeschätzt.«
Auf dem Rückweg zum Wohnwagen lege ich einen kurzen Stopp bei Willi ein, um ihm von der ungewöhnlichsten aller möglichen Begegnungen zu berichten. »Da siehste mal«, sagt er, »Fußball verbindet.«
Inzwischen vertrage ich auch ein Bier um die Mittagszeit. Das ist sozusagen Teil meiner sozialen Integration. Willi schwitzt, als wäre er zwanzig Kilometer am Strand gejoggt. Er arbeitet schon seit dem frühen Morgen an einem beheizbaren Handtuchhalter, den er in seiner Nasszelle installieren will. Angeblich hat sich die Rita das so gewünscht.
Die ist allerdings schon seit gut zwei Stunden vor dem ganzen Geschraube an den Strand geflüchtet.
Den gesamten Morgen hat er gefeilt und geschliffen, gehämmert, gebohrt. »Das Problem sind die dünnen Wagenwände«, sagt Willi. »Siehst du? Da kannst du nur die winzigsten Schrauben reinsetzen.« Er hat schon jeweils zwei Unterlegscheiben montiert, aber die größte Herausforderung bleibt die Elektrik. Willi hat in seiner Not einen Kabelkanal aus dem Schlafraum ins Bad verlegt, um den Handtuchhalter an den Strom anzuschließen.
»Und warum nimmst du nicht einfach ein Verlängerungskabel?«, frage ich wohl etwas zu naiv.
»Das ist ein Badezimmer, da fließt Wasser«, sagt er genervt. »Wasser und Strom – na, was meinst du?« Ohne eine Antwort abzuwarten, sagt er: »Das gibt ’nen Kurzen. Damit kennst du dich doch aus.«
Ursprünglich wollte er die Kabel ja unter der Wand verlegen, aber dafür hätte er wohl den halben Wohnwagen auseinanderschrauben müssen. Das war selbst dem legendären Wannen-Willi zu strapaziös.
In Herberts Charisma sind beheizte Handtuchhalter übrigens serienmäßig eingebaut. Und ich könnte mir vorstellen, die Hausbesichtigung hat dem Willi den letzten Kick gegeben, sein Werk endlich in Angriff zu nehmen. Den Halter selbst hatte er schon in Deutschland besorgt.
Wir haben ja bei Herberts Ankunft schon darüber philosophiert, wie sich das Campen verändert hat in den letzten Jahren. Sie haben es nicht so ausgedrückt, aber letztlich lief alles darauf hinaus, dass das vor allem demographische Gründe hat. Seit es bei uns mehr Pensionisten denn je gibt, die noch dazu wohlhabender sind als alle Rentner-Generationen vor ihnen, hat auf den Campingplätzen in ganz Europa eine Art Wettrüsten eingesetzt.
Seit geraumer Zeit, hat Horst beklagt, würden sich Gespräche unter Campingfreunden nur noch um PS-Zahlen, Quadratmeter-Angaben und Sonderausstattungsdetails drehen. Dabei spielt das gestiegene Komfortbedürfnis der Alten zwar auch eine Rolle, doch vor allem geht es um eine Form des Penisvergleichs untereinander. Und wenn sie früher noch glücklich waren, ein bewohnbares Ei hinter sich herziehen zu können, so muss es heute schon mindestens eine Fußbodenheizung sein. Oder eben der beheizbare Handtuchhalter.
Mir ist schon länger aufgefallen, dass einige meiner über viele Jahre gepflegten Vorurteile über das Campen nicht mehr zeitgemäß waren. Ein Urlaub für arme Leute ist das definitiv nicht mehr. Die Stellplatzgebühren sind so hoch, dass man von dem Geld locker eine Pauschalreise nach Mallorca, Griechenland oder in die Türkei buchen könnte. Den bequemen Flug und die Halbpension inklusive. Und für Herberts Investition in seinen Charisma kannst du auch locker ein Ferienhaus neben einem Golfplatz an der Costa del Sol kaufen. Da soll es im Moment günstige Gelegenheiten geben.
Wenn ich Horsts kulturpessimistische Einlassungen richtig begriffen habe, dann war Camping bis zum Jahrtausendwechsel noch die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft: Der Professor, der Handwerker, Bankangestellte und Fabrikmalocher – in kurzen Hosen waren sie alle gleich. Und ihre Wohnwagen unterschieden sich hauptsächlich aufgrund der Hersteller-Logos.
Seit es die Charismas gibt oder edle Hymer-Reisemobile und wie die alle heißen, ist ein gewisser Kulturwandel eingetreten. Man versucht sich abzugrenzen, zu überbieten. Und mit einem Mal hat Camping etwas mit Statussymbolen zu tun. Gegenüber von Willis Wohnwagen parkt sein nagelneuer Mercedes ML.
Willi lässt sich in seinen Campingstuhl sinken. Die Werkelei hat ihn sichtlich geschafft. Auf seinem Tisch liegt ein großformatiger bunter Katalog, auf dessen Cover zwei Kinder in einem Schlauchboot rudern, und im Bildhintergrund steht idyllisch ein Wohnmobil am Seeufer.
»Was ist das denn?«, frage ich.
»Fritz-Berger-Katalog.«
Als
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