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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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Herr Miller, ja«, wandte sich Gothaer an Frank. »Fräulein Degner hat mir bereits von Ihnen erzählt.«
Frank, der äußerst überrascht über diese unerwartete Vertrautheit war, brachte nur ein gestottertes »Ähm, j-ja, Herr Professor Gothaer« zustande.
Gothaer streckte Frank auffordernd seine Hand entgegen und dieser schlug ein.
»Ich freue mich sehr, Sie hier willkommen zu heißen, Herr Miller. Und es ist in Ordnung, wenn Sie den 'Professor' weglassen, kostet alles nur Zeit. Und die Zeit ist ein knappes Gut.«
Bevor Frank etwas entgegnen konnte, fuhr Gothaer fort. »Sie waren vier Jahre bei der Wehrmacht, ja? In Osteuropa? Sicher nahm man es da sehr streng mit Dienstgraden, Funktionen, formalen Redewendungen und so weiter.«
Frank nickte. »Ich weiß, dass es schwer fällt: Versuchen Sie, das Ganze hinter sich zu lassen. Machen Sie sich locker und sehen Sie nach vorne, so weit es Ihnen möglich ist.«
»Sie haben auch gedient, Herr Gothaer?«
Karen mischte sich ein. »Wir wollen aber hier keine Armee-Anekdoten austauschen, oder?«
»Das liebe Fräulein Degner, ungeduldig wie immer. War sie als Kind auch schon so, Herr Miller?«
»Oh, ja. Ich erinnere mich daran, als meine Eltern an Weihnachten – ich glaube, es war 1988 oder 1989 – einen Weihnachtsbaum mit echten Wachskerzen im Wohnzimmer aufstellten, direkt am Fenster, neben einem Vorhang, der bis zum Boden reichte. Karen wollte unbedingt schon vor dem Fest sehen, wie die Kerzen brennend wirkten und hatte eine Packung Streichhölzer …«
»Jetzt ist aber gut!«, unterbrach ihn Karen ungestüm. »Wir sind hier weder um Frontgeschichten zu hören, noch um Jugenderinnerungen auszutauschen.«
Gothaer lachte laut und dröhnend auf.
»Sie haben mir noch gar nicht erzählt, dass Ihre Leidenschaft für Physik sich schon so früh zeigte, Fräulein Degner. Na, da bin ich aber froh, dass wir sie hier an der Universität in die richtige Richtung lenken konnten. Wer weiß, wenn Sie in Germania geblieben wären, wäre jetzt möglicherweise ein riesiger Krater inmitten des Kontinents, auf der linken Seite von Hamburg flankiert und auf der rechten von Königsberg.«
Frank, der Karen nicht länger schmollend sehen wollte, lenkte ab.
»Ihr Vortrag hat mich ganz außerordentlich beeindruckt, Herr Gothaer.«
Der Professor wurde wieder ernster und bedankte sich.
»Es war eine kurze Zusammenfassung dessen, was Ihnen in den ersten beiden Semestern begegnen wird. Und? War alles Neuland für Sie oder eher eine Wiederholung?«
»Nun, ich habe mich zu Schulzeiten viel mit Physik beschäftigt, auch über das Pensum hinaus, das der Lehrplan vorgesehen hatte. Die Medizin und die Physik, das waren schon immer die Gebiete, die mich besonders interessierten. So gesehen, war mir sehr vieles aus Ihrem Vortrag vertraut. Dennoch, die Jahre vor meiner Dienstzeit erscheinen mir weit weg, manchmal wie ein früheres Leben und dementsprechend kommt mir das Ganze so vor, als müsste ich das verschüttete Wissen erst wieder ausgraben.«
»Ich verstehe, was Sie meinen!«, sagte der Professor. »Und ich freue mich natürlich sehr, wenn sich ein junger Mensch für die Physik entscheidet. Aber sagen Sie mir: Was hat letztendlich das Pendel für die Physik und nicht für die Medizin ausschlagen lassen?«
»Eine lange Geschichte, Herr Gothaer, bitte verzeihen Sie, wenn ich im Moment nicht darüber reden möchte.«
Der Professor respektierte Franks Antwort.
»Haben Sie heute Abend schon Verpflichtungen, Herr Miller?«
»Äh, nein …«
»Es wäre mir eine Ehre, Sie heute Abend in meiner Wohnung begrüßen zu dürfen.«
Frank verstand nicht.
»In regelmäßigen Abständen führen wir bei mir zu Hause wissenschaftliche Diskussionen«, erklärte der Professor. »'Wir': das sind Fräulein Degner, zwei weitere Studenten und ich. Es ist ganz zwanglos, keine Angst. Wir unterhalten uns und philosophieren, über alles, was uns bewegt, die Physik betreffend. Wir spinnen Theorien weiter, die im Lehrplan enthalten sind, für deren weitere Erörterung im Hörsaal aber leider keine Zeit bleibt. Außerdem glaube ich, dass die meisten Studenten mit unseren abendlich diskutierten Themen überfordert wären.«
»Und Sie meinen, ich wäre da der richtige Gesprächspartner?«, fragte Frank ungläubig. »Ich beginne gerade das erste Semester, Herr Gothaer!«
»Ich weiß, ich weiß! Aber lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich vermag durchaus zu erkennen, wer einen wichtigen Beitrag zu unseren abendlichen Debatten leisten

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