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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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Beine, um sie dann in einer gegrätschten Position erneut zu fixieren. Ich spürte Gummi; Finger, die in mich eindrangen und sich hin und her bewegten; die Nadel einer Spritze; ich weiß nicht, ob sie etwas entnahm oder etwas einführte. Wie lange die Untersuchung dauerte, weiß ich nicht. Ich erlebte alles wie in einem Nebel. Ich hörte das Wort 'Trakehnen' und mir wurde klar, dass es nicht mein Schicksal war, mein Leben in Sachsenhausen zu lassen. Erinnerst du dich, Frank? Trakehnen. Dieser kleine Ort bei Königsberg. Früher haben sie Pferde dort gezüchtet. Heute ist in Trakehnen ein Institut zur Erbgutforschung. Sie entschlüsseln dort das menschliche Genom. Die Gene der Arierin Karen Degner waren wohl wertvoll genug, um sie noch einer nützlichen Bestimmung zuzuführen. Dann befreite der Arzt meinen rechten Arm. Er drehte ihn herum und ich fühlte einen brennenden Schmerz an der Innenseite und wurde wieder bewusstlos.«
Franks Blick fiel auf die schlecht verheilte Vernarbung an der eben beschriebenen Stelle.
»Ich habe die Speichermarke später wieder entfernen lassen. Die Umstände waren eher abenteuerlich. Weiter! Als ich wieder erwachte, befand ich mich in sitzender Position. Meine Füße waren an eine Bodenstange gekettet. Es schaukelte: Ich war erneut im Innern eines Panzerwagens. Drei weitere Frauen waren in der gleichen Lage wie ich. Zu viert fuhren wir unserem Ziel im Osten des Reiches entgegen. Die, die neben mir saß, war fast noch ein Kind und weinte leise vor sich hin. Ich hatte nicht mehr die Kraft, sie zu trösten. Mir gegenüber war eine Frau angekettet, deren Attraktivität trotz der schlechten Lichtverhältnisse und ihres erbarmungswürdigen, geschundenen Zustands immer noch zu erkennen war. Die letzte der Frauen schließlich starrte stumpfsinnig gerade aus und zitierte monoton irgendwelche Verse und Texte. Konfus und ohne jeglichen Sinn und Zweck vermischten sich Brocken aus Klassikern mit nationalsozialistischem Gedankengut. Die Frau sprach ohne Punkt und Komma, als ob sie nicht einmal Luft zwischen den Sätzen holen musste. Goethe und Schiller vermengten sich mit Goebbels und all seinen Nacheiferern. Wir anderen schwiegen. Durch eine Milchglasscheibe drang etwas Tageslicht von der Fahrerkabine zu uns. Es war nicht genug, um die Umrisse des Fahrers zu erkennen oder gar durch die Windschutzscheibe zu spähen. So konnte ich nicht herausbekommen, wie weit wir schon gefahren waren. Lediglich, dass es Nacht wurde, bemerkten wir irgendwann. Ich wurde schläfrig und Sätze wie 'Da steh ich nun, ich armer Tor!' und 'Wollt ihr den totalen Krieg?' verfolgten mich in den Schlaf.
Eine Vollbremsung ließ mich hoch schrecken. Im Dämmerlicht sah ich, dass auch die anderen Frauen ein Stück nach vorne gerutscht waren, soweit es ihre Fußfesseln zugelassen hatten. Das Fahrzeug stand schließlich, wir setzten uns wieder gerade und befühlten die Körperstellen, die wir uns gestoßen hatten. Der Panzerwagen musste schon verhältnismäßig langsam gefahren sein, ansonsten hätten wir uns stärker verletzt. Unsere Mitgefangene begann wieder mit ihren Zitaten, deren Inhalt ich aber nicht mehr verstehen konnte, da draußen ein Tumult los brach. Zwei dumpfe Schläge hörte ich, die ich als Schüsse aus einer Waffe mit Schallschutz identifizierte. Mein Lebenswille kehrte zurück. Kurz darauf öffnete jemand die Tür. Ein Mann kam herein, leuchtete mit einer Taschenlampe nach den Verschlüssen unserer Fußschellen. Den Bund mit den Schlüsseln dazu hatte er bereits in der anderen Hand. Er befreite uns und trieb uns zur Eile an. Eine der Frauen, das Mädchen, musste er stützen, wir anderen sprangen alleine vom Fahrzeug ins Freie. Ich stolperte bei der Landung und ging in die Knie. Als ich nach vorne blickte, sah ich geradewegs auf eine verdreckte, grün-braune Hose und eine kräftige Hand, die sich mir nach unten entgegen streckte. Und ich hörte eine Stimme, die mich begrüßte: 'Herzlich w-willkommen in den Masuren!'
Als ich aufblickte, erkannte ich das verschmutzte, doch zufrieden lächelnde Gesicht Tristan Hartwigs.«

3
     
    »Im Gegensatz zu Robert und mir, war es Tristan tatsächlich gelungen, in Freiheit zu bleiben. Nach deinem und Dieters Transfer, hatten Robert und Tristan bis zur vereinbarten Stunde, Mitternacht, gewartet. Als keines der beiden Signale anzumessen war, wurden sie zunehmend nervöser. Sie warteten; warteten, bis der nächste Tag anbrach. Tristan ging nach oben, ins Freie, um sich die Beine

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